Aktuelles

Vergangenen Montag stellten Mitarbeitende der Universität Hildesheim einen Zwischenbericht mit dem Titel Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe – Aufarbeitung der organisationalen Verfahren und Verantwortung des Berliner Landesjugendamtes vor. Die Methoden Kentlers sind in den letzten Jahren immer wieder scharf kritisiert worden, unter anderem da er als Teil eines fragwürdigen Experiments straffällig gewordene Jugendliche an verurteilte Sexualstraftäter vermittelte. Der Zwischenbericht enthält darüber hinaus die anonymisierte Erzählung einer Person, die Kentler selbst sexuellen Übergriffen gegenüber mehreren Jugendlichen beschuldigt, sowie Vermutungen eines übergreifenden Netzwerkes von zahlreichen mit Kentler in Verbindung stehenden Menschen, die Missbrauchsfälle begangen oder gedeckt haben sollen.

Leider benutzt der Bericht dabei eine sehr unpräzise und schwammige Begriffsverwendung, die dazu geeignet sind, die Stigmatisierung gegenüber pädophilen Menschen im Allgemeinen zu befördern.

So werden die Täter etwa durchgängig als pädophile Männer bezeichnet. Richtig ist, dass unmöglich gesagt werden kann, ob die Täter die Kriterien der Pädophilie erfüllen. Die meisten Missbrauchstaten werden nicht von Pädophilen begangen. Hinzu kommt, dass es bei den Straftaten im Kontext des „Kentler-Experiments“ meistens um Jugendliche, und nicht um Kinder ging.

Ebenso häufig ist von pädophilen Positionen die Rede, womit anscheinend Haltungen und Ideologien gemeint sind, die Missbrauch rechtfertigen, bagatellisieren oder vertuschen. Diese Haltungen werden von einem großen Teil der pädophilen Menschen nicht geteilt. Pädophilie ist eine Sexualität und keine Meinung oder Charaktereigenschaft.

An anderen Stellen wird mehrfach die Formulierung Pädophilie legitimierende Positionen verwendet. Auch hier kann nur vermutet werden, was damit gemeint ist, eine Erklärung findet sich in dem Zwischenbericht nicht. Grundsätzlich wird durch den Kontext Pädophilie als etwas fundamental Schlechtes dargestellt. Fakt ist, dass sich niemand aussucht pädophil zu sein und pädophile Menschen genauso eine Existenzberechtigung haben, wie andere auch – und es daher auch nichts zu legitimieren gibt.

Insgesamt wird in dem Zwischenbericht nicht sauber zwischen Pädophilie und Missbrauch getrennt. Zudem zeigt die Wortwahl, dass die Autoren die Tatsache, dass es auch pädophile Menschen gibt, die weder Straftaten begehen noch entsprechende Ideologien verbreiten noch nicht einmal in Betracht ziehen.

Diese unpräzise Verwischung von Begriffen ist gerade für ein Forschungsprojekt, das Aufarbeitung als Ziel hat, enttäuschend. Nicht zuletzt werden die gewählten Formulierungen auch in Medienberichten zu dem Thema übernommen und durch die wissenschaftliche Verwendung legitimiert, womit die Gleichstellung von Pädophilie und Missbrauch in der Gesellschaft weiter befördert wird.

Der Zwischenbericht kann im Original hier eingesehen werden.


Der Kieler Standort des Präventionsprojektes Kein Täter Werden hat auf einer Pressekonferenz in Kiel heute eine neue Öffentlichkeitskampagne vorgestellt und dabei auch eine Zwischenbilanz für das Projekt gezogen. Der 2009 gegründete Standort unter Leitung von Prof. Dr. Huchzermeier ist eines der ältesten Mitglieder des Projektes, und der einzige Standort im Bundesland Schleswig-Holstein.

Bei der Veranstaltung war auch Schleswig-Holsteins Gesundheits- und Justizministerin Prof. Dr. Kerstin von der Decken anwesend, deren Ministerium die Öffentlichkeitsarbeit des Projektes finanziell mit unterstützt. Laut Aussagen ihres Ministeriums wird die Öffentlichkeitsarbeit des Projektes dieses Jahr mit etwa 75000 € gefördert, wovon unter anderem Werbekampagnen in verschiedenen Medien finanziert werden.

Enttäuschend ist, dass in der Berichterstattung zu der Veranstaltung das psychische Wohlbefinden der eigentlichen Klienten des Projekts mit keinem Wort erwähnt wird. Es scheint fast so, als ob dies für die Messung des Erfolgs des Therapieprojektes völlig irrelevant ist. Gesundheitsministerin von der Decken begründet in einer Pressemitteilung die Unterstützung des Projektes mit der Hoffnung, „dadurch noch mehr Betroffene zu erreichen als bisher und so weitere sexuelle Kindesmissbräuche verhindern zu können.“ Auch die dpa-Meldung zu der Veranstaltung und ein Bericht im NDR erwähnt als einziges Therapieziel lediglich, „das Risiko für einen sexuellen Übergriff auf Kinder zu reduzieren.“ Huchzermeier selber redet ebenso nur davon, dass sein Projekt das Ziel habe „sexuelle Gewalt an Kindern zu reduzieren.“

Dies ist besonders brisant, da sich das Projekt laut Eigenaussage vor allem an pädophile Menschen richtet, die keine Straftaten begangen haben, und nicht an (nicht-pädophile wie pädophile) Menschen, die Angst davor haben sich sexuell übergriffig zu verhalten. Darunter fallen also auch viele Menschen, die keinerlei Schwierigkeiten damit haben, nicht straffällig zu werden, womöglich aber psychologische Hilfe brauchen, um zum Beispiel mit Problemen wie Minderheiten-Stress, Depressionen oder soziale Isolation als Folge der Stigmatisierung umgehen zu können. Es ist schade zu sehen, dass deren psychisches Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit anscheinend auf solchen Veranstaltungen überhaupt kein Thema zu sein scheint, insbesondere, da es deutschlandweit für diese Menschen fast keine anderen fachlichen Anlaufstellen gibt.


Der Wissenschafts-Podcast Nachgefragt beschäftigt sich in der neusten Folge mit den Themen Kindesmissbrauch und Pädophilie, in der als Gast und Expertin die Kriminalpsychologin und Buchautorin Lydia Benecke eingeladen wurde. In der Folge geht es hauptsächlich um das Thema Kindesmissbrauch, auch Pädophilie wird überwiegend nur in dem Zusammenhang besprochen. Dennoch werden wichtige Differenzierungen Kindesmissbrauch und Pädophilie vorgenommen, und insbesondere auch die Motivationen der nicht-pädophilen Täter:innen beleuchtet.

Die Folge kann hier angehört werden: NGF57 – Wissen: Kindesmissbrauch und Pädophilie.


Der Nationalrat beschäftigte sich vergangenen Freitag mit einem Antrag der Freiheitlichen für ein strafrechtliches Verbot des Erwerbs und Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen sowie von Anleitungen zum Kindesmissbrauch. Erst letzten Monat ist dieser Antrag vor dem Justizausschuss verhandelt worden, mit dem Ergebnis, dass die Prüfung eines möglichen Verbots gefordert wurde.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch der Nationalrat. So wurde der Antrag auf ein sofortiges Verbot zwar abgelehnt, gleichzeitig aber einstimmig beschlossen, mögliche Verbote prüfen zu lassen. Laut Agnes Sirkka Prammer von den Grünen stellt dies sogar eine Erweiterung des ursprünglichen Antrags dar, da somit auch eine grundsätzliche Überarbeitung und Verschärfung der Strafmaße geprüft werden könne.

Insgesamt war der Tenor in der Parlamentsdebatte deutlich für ein Verbot. Rosa Ecker von der FPÖ, die den ursprünglichen Verbotsantrag eingebracht hatte, behauptete in Bezug auf Kindersexpuppen etwa fälschlicherweise, der wissenschaftliche Konsens sei, dass diese „die Fantasien und Fixierung der Pädophilen eher verstärken“ würden und damit als gefährlich zu bewerten seien. Tatsächlich gibt es erst eine einzige empirische wissenschaftliche Untersuchung zu der Frage, welche zu gänzlich anderen Ergebnissen kommt. Dennoch schlossen sich die meisten Redner ihrer Position an. Lediglich der NEOS-Mandatar Johannes Margreiter äußerte sich kritisch und warf die Frage auf, ob der Erwerb einer Puppe mit einer verbrecherischen Absicht gleichzusetzen sei.

Der Entschluss des Nationalrats fordert die Bundesregierung und insbesondere das Justizministerium auf, Verbote von Kindersexpuppen und Anleitungen von Kindesmissbrauch zu prüfen und außerdem grundsätzlich zu prüfen, ob das Pornographiegesetz dem Schutz von Kindern und Jugendlichen noch gerecht werde.


Das WsaM-Team hatte einen kurzen Austausch per Email mit Frau Franziska Mathäus. Sie ist ausgebildete Psychologin, Kriminologin und systemische Beraterin und beschäftigt sich in ihrer Arbeit sowohl mit pädophilen Menschen, als auch mit Ersatzhandlungstätern.

Ihre Praxis befindet sich in München, sie bietet allerdings auch Onlinetherapie an. Da die systemische Beratung nicht von der Krankenkasse gezahlt wird, richtet sich ihr Angebot an Selbstzahler.

Bei unserem Austausch per Email haben wir Fragen zu Ihrer Art der Behandlung gestellt. Sie erklärte uns, dass sie häufig mit Patienten arbeitet die Missbrauchstäter sind oder unter Pornosucht leiden, aber auch mit pädophilen Menschen die in erster Linie unter der Einsamkeit und Stigmatisierung, die die Pädophilie häufig mit sich bringt, leiden. Sie betrachtet den Menschen und seine Schwierigkeiten im Leben dabei immer individuell. Das ermöglicht eine Behandlung, die zum jeweiligen Patienten passt, anstatt einer Schablone, die man versucht jedem überzustülpen. Auch wenn sich das Angebot explizit an Männer richtet, lehnt sie Frauen als Patienten nicht zwangsläufig ab.

Wir haben daher ein gutes Gefühl auf ihr Therapieangebot aufmerksam zu machen. Gerne können sich Menschen die Termine bei ihr in Anspruch genommen haben, auch bei uns melden, damit wir eine Rückmeldung und einen Einblick aus erster Hand diesbezüglich bekommen können.

Mehr Informationen zu dem Therapieangebot findet ihr auf der Website unter der Adresse https://www.franziska-mathaeus.de.


Über den Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen gibt es eine lang anhaltende kontroverse Debatte. Während die eine Seite behauptet, dass die Benutzung kindlicher Sexpuppen als „Sprungbrett in ein Meer aus Gewalt, Pornografie oder Missbrauch an Kindern in der Realität“ dient, sieht die andere Seite eher ein präventives Potenzial, indem mithilfe von Puppen ansonsten nicht legal auslebbare Wünsche umgesetzt werden können, ohne dabei anderen zu schaden. Bis vor kurzem gab es weder für die eine, noch für die andere Seite wirklich empirische Belege – was einzelne EU-Länder wie Dänemark, Österreich und Deutschland nicht davon abgehalten hat, ein Verbot auszusprechen oder zumindest in Betracht zu ziehen.

In den Archives of Sexual Behavior ist nun eine Studie publiziert worden, die erstmals Besitzer von kindlichen Sexpuppen untersucht hat. Die Arbeit, die als Open Access frei verfügbar ist, konnte 85 (ausschließlich männliche) Besitzer über Online-Foren, Blogs u.ä. finden und mit pädo- und hebephilen Menschen vergleichen, die keine Puppen besitzen.

Als Ergebnis der Studie konnte kein Zusammenhang zwischen dem Besitz von Puppen und dem Risiko eines realen Missbrauchs gefunden werden. Ebenso haben Puppenbesitzer nicht häufiger als nicht-Besitzer angegeben, sich durch Straftaten gegen Kinder strafbar gemacht zu haben. Dafür konnten Belege dafür gefunden werden, dass kindliche Sexpuppen mehr als nur einen rein sexuellen Nutzen für die Besitzer haben. So gaben die Besitzer an, ihre Puppen gleichermaßen aus emotionalen wie aus sexuellen Gründen zu benutzen. Gleichzeitig konnten Hinweise dafür gefunden werden, dass die Puppen für viele Besitzer direkte positive Auswirkungen auf die psychische und emotionale Gesundheit haben.

Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Arbeit sind damit konsistent zu bereits existierender Forschung zu Besitzern von (erwachsenen) Sexpuppen. Auch, wenn noch viel Forschung in dem Bereich notwendig ist, um ein eindeutiges Bild der Auswirkungen kindlicher Sexpuppen zeichnen zu können, ist diese Studie ein wichtiger erster Schritt in diese Richtung. Insbesondere lässt sich nun sagen, dass nach aktuellem Wissensstand das Argument, Kindersexpuppen führen zu realen Missbrauchstaten, nicht haltbar ist. Dies ist ganz besonders relevant, da mit diesem Argument strafrechtliche Verbote gerechtfertigt werden, die aktuell in immer mehr Ländern umgesetzt werden. Gerade in Hinblick auf die möglichen positiven Auswirkungen kindlicher Puppen auf die Lebensqualität pädophiler Menschen, die anders keine romantische Beziehung führen können, können pauschale Verbote damit aus humanitärer Sicht eigentlich nur als äußerst kritisch bewertet werden.


Der Justizausschuss in Österreich hat in einer Sitzung am 19.10. die Prüfung eines möglichen Verbotes des sogenannten „Pädophilen-Handbuchs“ sowie von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen einstimmig beschlossen. Der zugehörige Antrag mit der Nummer 2660/A(E) ist bereits am 15.06. in den Ausschuss eingebracht worden. Die Umsetzbarkeit entsprechender Gesetze wird nun von der Justizministerin im weiteren Verfahren geprüft.

Angelehnt ist dieser Vorstoß offensichtlich an die jüngsten rechtlichen Entwicklungen in Deutschland, wo zuletzt neue Gesetze in Kraft getreten sind, die beide Inhalte unter Strafe stellen. Das sogenannte Pädophilen-Handbuch (eine treffendere und weniger stigmatisierende Bezeichnung wäre „Missbrauchshandbuch“) ist ein 1000-seitiges PDF-Dokument, das angeblich die Durchführung von sexuellem Kindesmissbrauch in allen Details beschreiben soll. Seit dem 22.09.2021 steht schon der Besitz derartiger Texte nach § 176e StGB in Deutschland unter Strafe, wobei die Definition dessen, was eine strafbare Anleitung darstellt, bewusst weit gefasst und im Einzelnen noch ungeklärt ist.

Bei kindlichen Sexpuppen wiederum stehen Besitz, Erwerb und Verbreitung seit dem 01.07.2021 nach § 184l StGB unter Strafe. Zuvor hatte Dänemark im Jahr 2020 derartige Puppen unter Strafe gestellt. Österreich wäre damit das dritte EU-Land, in dem entsprechende Puppen verboten wären. Dabei gibt es bis heute keine eindeutigen Erkenntnisse über die Folgen eines Verbotes von kindlichen Sexpuppen, und keine Bemühungen seitens der EU-Regierungen, entsprechende Forschung zu finanzieren. Ein laufendes, privat finanziertes Forschungsprojekt der Prostasia Foundation wird erst in den nächsten Jahren zu Ergebnissen kommen. Die Planung eines Verbotes in Österreich scheint aber, genauso wie in Deutschland, nicht an Evidenz oder die Ergebnisse von Forschungsprojekten geknüpft zu sein.


In Ennepetal ist ein 68-jähriger Mann wegen des Besitzes kinderpornographischer Inhalte zu 2400€ Geldstrafe verurteilt worden. Das besondere an dem Fall: laut eines Berichts der Westfalenpost wurden bei dem Angeklagten ausschließlich fiktive Darstellungen nicht real existierender Kinder gefunden, nämlich „541 Bilder mit kinderpornografischen Comic-Darstellungen.“ Diese seien zwar „sehr real“ und explizit gewesen, waren aber offenbar immer noch als fiktive Darstellung erkennbar. Der Angeklagte hat diese Zeichnungen dem Bericht zu Folge nicht zur sexuellen Erregung, sondern zur Verarbeitung selbst erlebten Missbrauchs unter der falschen Annahme heruntergeladen, dass derartige Darstellungen legal seien.

Die rechtliche Lage zu fiktiver Kinderpornographie ist zumindest ambivalent. Die Herstellung und Verbreitung steht nach § 184b StGB genauso unter Strafe, wie auch die Produktion realer Kinderpornographie und hat nur bei klar als fiktiv erkennbaren Darstellungen einen etwas niedrigeren Strafrahmen. Der Besitz ist nur bei „wirklichkeitsnahen“ Material strafbar, wobei nicht klar definiert ist, was genau darunter fällt. Zusätzlich zu dem rechtlichen Graubereich besteht immer die Gefahr, dass schon der reine Besitz eigentlich legaler Bilder als Anfangsverdacht für Ermittlungen oder gar eine Hausdurchsuchung ausreicht, die für sich schon existenzbedrohend sein kann. Damit benachteiligt die Gesetzeslage vor allem auch pädophile Menschen, die versuchen eine moralische Form des Auslebens ihrer Sexualität zu finden, die keine realen Personen involviert. Dennoch kommen Verurteilungen wegen ausschließlich fiktiver Materialien sehr selten bis in die Medien, was diesen Fall relativ einzigartig macht – und vor allem als öffentlichkeitswirksame Bestätigung dient, dass eine Verurteilung möglich ist, auch wenn eindeutig kein anderer Mensch ein Schaden zugefügt wurde.

Ein lesenswerter Blogbeitrag zu dem Thema: Verurteilt wegen gezeichneter Kinderpornografie: Wenn das Fass überläuft… von Regenbogenfisch.


Am 1. Juli 2021 sind umfassende Strafverschärfungen und -Erweiterungen im Bereich Kindesmissbrauch und Kinderpornographie in Kraft getreten. Als eine der zentralen Änderungen gilt seitdem der Besitz von Kinderpornographie grundsätzlich als Verbrechen. Dies bedeutet insbesondere, dass das Mindeststrafmaß jetzt bei einem Jahr Haft liegt. Gleichzeitig können Verfahren nicht mehr wegen Geringfügigkeit eingestellt werden.

Genau diese Verschärfungen hält der Münchener Amtsrichter Robert Grain für verfassungswidrig, und hat deswegen nun eine Normbeschwerde vor dem Verfassungsgericht eingereicht. Dies berichtete das Legal Tribune Online, das sich wiederum auf einen kostenpflichtigen Artikel der SZ bezieht. Anlass der Beschwerde ist ein Strafverfahren gegen eine Mutter, die das Nacktbild eines Kindes, welches ihrem Kind geschickt wurde, zur Warnung an weitere Eltern versandt hatte.

Aufgrund der Gesetzesverschärfung muss in solchen Fällen immer ermittelt werden, ein Einstellen der Verfahren ist nicht mehr möglich. Das betrifft zum Beispiel auch Fälle, in denen Eltern Nacktbilder ihrer Kinder auf dem Handy haben, in denen Menschen unfreiwillig strafbares Material zugeschickt wird und sie dies nicht schnell genug melden, oder auch Kinder und Jugendliche selber, die Nacktbilder von sich besitzen oder untereinander austauschen. Dies führt zu einer Mehrbelastung der Gerichte und der Staatsanwaltschaft, während gleichzeitig teilweise die Opfer sexueller Übergriffe selber kriminalisiert werden. Vor diesen Problemen hatten schon einige Experten in der Sachverständigenanhörung zu dem Gesetzesentwurf gewarnt, die allerdings von der damaligen Regierung weitestgehend ignoriert wurden.

Auch die Staatsanwälte selber sind daher mit den Änderungen zum Teil nicht glücklich, der Hamburger Oberstaatsanwalt Michael Abel äußert sich in der SZ etwa wie folgt:

Wir halten uns natürlich an das, was der Gesetzgeber verlangt, aber was wir hier machen müssen, das liegt den Kollegen auf der Seele - und mir auch.


Gestern feierte Ulrich Seidls neuster Film Sparta seine Deutschlandpremiere beim Filmfest in Hamburg. Sparta bildet den Schwesterfilm zu Seidls Werk Rimini; ursprünglich sollten beide Filme nur einen Film mit dem Titel Böse Spiele bilden. Sparta begleitet den pädophilen Judolehrer Ewald, der nach einer gescheiterten Beziehung einen Neuanfang in einem heruntergekommenen Landstrich in Rumänien anfängt. Dort erwirbt er ein verlassenes Schulgebäude, welches er mithilfe einiger Jungen aus der Umgebung in eine Festung umbaut, in der er den Kindern kostenlosen Judounterricht gibt. Die Schule („Sparta“) wird bald schon zu einem Paradies für die Jungen, die sonst ein tristes Leben in verarmten und zerrütteten Familien führen, in denen Gewalt und Alkoholismus an der Tagesordnung stehen. In diesem Milieu scheint Ewald der Einzige zu sein, der sich um die Kinder kümmert, und den es interessiert, wenn den Jungen familiäre Gewalt angetan wird.

Dieser positiven Darstellung des Protagonisten und seiner Beziehungen zu Kindern stehen Szenen gegenüber, in denen er die Kinder nur mit einer Unterhose bekleidet für sich posieren lässt, Fotos von ihnen macht oder ihnen körperlich sehr nahekommt. Zu strafbaren Handlungen oder Missbrauch durch Ewald kommt es in dem Film aber nicht, obwohl er durchaus in Situationen kommt, in denen er die Gelegenheit dazu gehabt hätte. Dennoch gab es mehrere ausgedehnte Szenen, in denen er die Bilder der Jungs auf einem großen Monitor betrachtet, und auf einzelne Körperregionen heranzoomt. Szenen, in denen die Stimmung im Saal sich merklich verdüsterte.

Die Rezeption des Films war grundsätzlich positiv, die Vorstellung wurde mit lautem Applaus vom Publikum gewürdigt. Im Anschluss beantwortete Seidl, der persönlich anwesend war, einige Fragen einer Moderatorin, die allerdings leider enttäuschend oberflächlich waren. So wurde das Thema Pädophilie nur indirekt in einem Nebensatz angeschnitten, und auch auf die Kontroversen, die den Film begleiten, wurde nur sehr kurz eingegangen. Dabei erzählte Seidl im Wesentlichen nichts, was er nicht schon in einem Interview ein paar Tage vorher geäußert hatte. Auch eine anschließende Fragerunde gab es nicht. Interessant war lediglich zu erfahren, dass Georg Friedrich, der Ewald in dem Film spielt, sich wohl ein Jahr auf seine Rolle vorbereitet und dabei auch mit einem pädophilen Menschen gesprochen habe, weiter wurde aber auf das Thema nicht eingegangen.

Zum Abschluss unsere Ersteindrücke zum Film in Kurzform.

Rubricappula

Ich fand viele Szenen in dem Film sehr unangenehm anzusehen, gerade auch in Anbetracht der Kontroverse um Seidl selbst, die er wohlgemerkt nicht gerade dadurch entkräftet hat, indem er sie bei seinem selbst beweihräucherndem Auftritt entschieden ausgeklammert hat. Die Fragen, die ihm gestellt wurden, waren alle sehr wohlwollend formuliert und ließen Kritik oder Zweifel keine Chance. Ausbeutung hat viele Gesichter und vielleicht ist es auch das, was der Film aussagen möchte - dann ist die Kontroverse meiner Meinung nach aber umso gerechtfertigter. Unter anderem die berüchtigte Szene mit dem Alkoholiker und die Frage, ob die Eltern der Kinder wirklich vollumfänglich eingeweiht waren und/oder sind, worum es in dem Film gehen soll. Hier vermischt sich das reale Leben dieser Kinder zu sehr mit Schauspiel, was vielleicht für erwachsene Darsteller in Ordnung sein mag, nicht aber für Kinder.

Im Film selbst sind mir vor allem Szenen, in denen Ewald sich den Jungen (meiner Ansicht nach) körperlich aufdrängt, indem er sie ungefragt streichelt, küsst oder sich an sie heran kuschelt, ohne, dass die Jungen selbst diese Art von Zuneigung (bei ihm) gesucht hätten, besonders unangenehm aufgefallen. Auch, wenn Ewald scheinbar (nicht ganz eindeutig, manche Szenen könnten als Andeutung interpretiert werden) keine sexuellen Übergriffe begeht, hatte ich überwiegend den Eindruck, Ewald sollte als „das geringere Übel“ in der Geschichte fungieren, nicht aber zwingend als Positivbeispiel eines Pädophilen. Für mich wurden die Szenen beim halb nackten Toben/Judo oder beim Duschen, teils auch unnötig in die Länge gezogen, ebenso wie die mehrfachen Szenen in denen er einfach nur die Fotos der Jungs anstarrt.

Die Geschichte um seinen Vater hätte für mich besser in einen anderen Film gepasst, dennoch empfand ich sie als ziemlich berührend.

Allgemein fehlte mir im Film die Gedankenperspektive der Charaktere, besonders die von Ewald, da vieles nicht durch die gezeigten Aufnahmen allein ersichtlich ist. Wie er z. B. sein Leben vor der Beziehung mit seiner Freundin verbracht hat, ist nicht bekannt, dadurch wirkt sein Coming-in ziemlich abrupt. Auch womit er genau innerlich hadert, wird nach einer Szene, in der er weinend zusammenbricht, nicht erläutert.

Allerdings gab es auch einige schöne Szenen, in denen es einfach natürlich wirkte, wie er mit den Jungen umging. Ich habe mich tatsächlich manchmal ein wenig ertappt gefühlt, zu sehen, wie dieser offensichtlich erwachsene Mann mit den Kindern zusammen aufblühte, Spaß hatte und es für alle Seiten für einen kurzen Moment keine Sorgen in ihrem Leben gab - diesen Aspekt der Pädophilie haben Seidl und auch der Darsteller Georg wirklich gut rüberbringen können.

Ich habe mir zum aktuellen Zeitpunkt noch kein abschließendes Urteil über den Film gebildet.

Sirius

Ich bin kein Freund der Cancel Culture und daher froh, dass der Film trotz aller Kontroversen gezeigt wurde und die Vorführung nicht abgesagt wurde, wie es mit der Weltpremiere in Toronto geschehen ist. Gleichzeitig hat es sich das Hamburger Filmfest aber auch ein wenig zu einfach gemacht. Ein Film kann nicht existieren, ohne dass er vorher produziert wurde. Das Endresultat von den Produktionsbedingungen zu trennen, ist dann doch ein wenig zu bequem. Frustrierend war auch, dass zum Thema Pädophilie nicht wirklich was erzählt wurde. Nur einmal redete die Moderatorin der Veranstaltung peinlich berührt von jemanden mit „solchen Neigungen“, fast so als hätte sie Angst, eine neue Kontroverse zu beschwören, wenn sie das P-Wort ausspricht.

Der Film selber ist durchaus interessant – man muss ja schon dankbar für jeden Film sein, der Pädophile nicht als monströse, psychopathische Bösewichter darstellt. Auch, wenn ich mir wünschen würde, dass Regisseuren mal was Kreativeres einfallen würde, um die pädophile Sexualität eines Charakters darzustellen, als ihn in einsamen, kalten Räumen minutenlang auf den nackten Oberkörper kleiner Jungs starren zu lassen. Dem Zuschauer wird so der (vermeintlich) pädophile Blick aufgezwungen, mit dem Ergebnis, dass er sich gruselt und ekelt. Durch die Beobachtung eines Voyeuristen wird er so selber zum Voyeuristen.

Als Gegenspieler zu Ewald dient vor allem der Vater eines Jungen, den Ewald ganz besonders zu mögen scheint (also den Jungen, nicht den Vater). Hier ist durchaus anzuerkennen, dass der Film keine einfache Schwarz-Weiß-Malerei betreibt. Ewald fügt den Kindern, im Gegensatz zu deren Vätern, kein Leid zu. Im Gegenteil, er bietet ihnen ein kindliches Paradies inmitten einer tristen Einöde, das sie so noch nie erleben konnten. Natürlich macht er dies zu einem großen Teil aus Eigennutz, weil ihm die Nähe zu Kindern Freude bereitet. Fakt ist aber, am Ende des Films ist der Einfluss, den Ewald auf die Kinder, mit denen er zu tun hatte, überwiegend positiv.

Das größte Manko des Films ist meiner Meinung nach: Zeit. Der Film ist einfach zu kurz. Vieles wird angedeutet, aber nicht zu Ende erzählt. Fast alle Charaktere außer Ewald und vielleicht noch seine Freundin (die aber nach der ersten halben Stunde keine Rolle mehr spielt) sind höchst eindimensional. Auch die Jungen (im ganzen Film ist übrigens kein einziges Mädchen zu sehen) haben recht eindimensionale Persönlichkeiten. Die Familien sind insgesamt wenig mehr als Klischees osteuropäischer Arbeiter. Verwahrlost, brutal, gewalttätig, alkoholisiert, asozial. Hier fehlten mir Nuancen, die dem Ganzen mehr Tiefe geben und damit auch den Konflikt zwischen Ewald, der stellenweise als mitteleuropäische „Retterfigur“ daherkommt, und den Einheimischen interessanter gemacht hätten. So wirkt auch der Klimax des Films sehr plötzlich und das Ende ein wenig abrupt.

Auch ich möchte keine abschließende Wertung abgeben, ohne den Film nicht mindestens ein zweites Mal gesehen zu haben. Auf jeden Fall lohnt es sich, ihn zu sehen, wenn man sich für das Thema Pädophilie interessiert. Sparta ist, wie ich finde, wesentlich erfolgreicher damit, einen pädophilen Charakter zu porträtieren, als Kopfplatzen – ein weiterer Film, der einen pädophilen Mann als Hauptcharakter hat. Paradoxerweise vielleicht gerade deswegen, weil Sparta im Kern kein Film über Pädophilie ist, sondern über Themen, mit denen wir uns alle irgendwie identifizieren können: Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, und die Suche nach einem Platz im Leben.