Sind Pädophile gefährlicher als andere Menschen?

Immer wieder stoßen wir auf großes Unverständnis, wenn wir uns an Diskussionen zum Thema Pädophilie beteiligen. Eine der häufigsten Aussagen, mit der wir konfrontiert werden, ist die, dass ein Pädophiler sich einfach nicht dauerhaft im Griff haben kann. Diese Aussage zeigt deutlich, dass hier ein großes Misstrauen herrscht. Dieses beruht natürlich auf der Angst, dass Kinder grundsätzlich in Gefahr schweben, wenn sie sich in der unmittelbaren Nähe eines Pädophilen befinden. Doch wie weit geht dieses Misstrauen eigentlich, wem genau gilt es und die wichtigste Frage: Ist es berechtigt?

Sexualität – ein Teekessel?

Wer pädophilen Menschen grundsätzlich misstraut, der tut dies höchstwahrscheinlich, weil er befürchtet, dass sie irgendwann ein Kind missbrauchen oder Missbrauchsabbildungen konsumieren würden. Dem zugrunde liegt häufig die Vorstellung, dass sexuelles Verlangen wie ein Druck sei, der ähnlich wie bei einem Teekessel immer weiter ansteigt bis der Kessel irgendwann explodiert – bzw. jemand einen Übergriff begeht. Dieser „Druck“, die eigene Sexualität auszuleben, würde also irgendwann zu groß werden, als dass man dem widerstehen könne.

Es gibt mehrere Gründe, warum wir dieser Annahme nicht zustimmen.

Einmal finden wir das Bild an sich unpassend, denn es impliziert, dass pädophile Menschen permanent Sex mit Kindern im Kopf haben und ihr Sexualtrieb stärker wäre als bei nicht-pädophilen Menschen. Dies trifft nicht zu. Pädophile Menschen haben eine genauso unterschiedlich stark oder schwach ausgeprägte Libido wie jeder andere Mensch. Auch löst der Anblick eines attraktiven Kindes nicht unweigerlich Lust aus.

Nun kann man einwenden, dass nicht-pädophile Menschen ja in der Regel Sex haben können und damit ihren „Druck“ abbauen können. Das impliziert, dass Pädophile grundsätzlich nicht in der Lage sind, sexuelle Erregung abzubauen, um diesen Druck zu reduzieren und ein „Überkochen“ zu verhindern. Diese Möglichkeit hat man aber immer, nämlich durch Masturbation und Fantasieren. Masturbation kann für einen Menschen auch durchaus erfüllend sein, schließlich sind der eigenen Fantasie keine Grenzen gesetzt.

Sexuelle Erregung bedeutet außerdem nicht „Gefahr“. Es ist nichts schlecht oder „böse“ daran, Lust zu empfinden. Es bedeutet bloß, dass es hier ein Bedürfnis gibt, um das sich gekümmert werden will – es heißt nicht, dass dies sofort geschehen muss, andere Personen dabei beteiligt werden müssen oder man dieses nicht auf einen passenderen Zeitpunkt verlegen kann. Wenn man sich den Sexualtrieb des Menschen also ganz allgemein als normales, ansteigendes Bedürfnis vorstellen will, ähnlich wie Hunger oder Durst, dann sorgt Masturbation dafür, dass dieses Bedürfnis befriedigt und damit der Anstieg unterbrochen und gesenkt wird. Der Druck steigt demnach nie über ein bestimmtes Maß, wenn er regelmäßig ausgeglichen wird. Man könnte an dieser Stelle auch sagen, dass der Wunsch vieler Menschen, am besten gar nicht zu Fantasien mit Kindern zu masturbieren kontraproduktiv ist. Pädophilie zu sein lässt sich eben nicht wegzaubern oder ignorieren, und gerade deshalb ist ein menschenwürdiger Umgang auch für pädophile Menschen besonders wichtig.

Die Pädophilie erfordert einen gesunden Umgang damit, dazu muss man sich damit zwangsläufig auseinandersetzen. Zu erforschen, was man sich eigentlich wünscht und zu Fantasien zu masturbieren verstärkt nicht diese Wünsche, es bietet ein Ventil für diese Bedürfnisse, das gleichzeitig niemandem schadet. Nichtbeachtung seiner sexuellen Bedürfnisse kann viel eher erst einen (Leidens-)Druck erzeugen, den es ansonsten gar nicht gäbe.

Nur, weil man diese Bedürfnisse in der Regel mit sich allein ausleben muss, bedeutet das nicht, dass dieser Druck dadurch nicht abnimmt. Der Mensch ist ein sexuelles Wesen. Das heißt allerdings nicht, dass er diese Sexualität zwangsläufig mit anderen Menschen erleben muss. Enthaltsamkeit im Sinne von gar keine sexuellen Gedanken und Fantasien zulassen, sich dafür abzuwerten und gar nicht zu masturbieren ist nicht der richtige Weg, vor allem wenn dies nicht aus eigenem Antrieb geschieht. Die meisten Menschen genießen Sexualität und wollen darauf auch nicht verzichten. Dieses Recht sollte jedem zugestanden sein, denn Spaß an Sexualität ist für viele auch ein großes Stück Lebensqualität.

Pädophile Menschen sind außerdem nicht allein damit, keinen Sex mit den präferierten Menschen haben zu können. In dieser Situation leben auch viele andere Menschen. Langzeitsingles und Jungfrauen beispielsweise, die aus verschiedenen Gründen keinen Partner finden, obwohl sie gerne einen hätten. Die Frage, die man sich zwangsläufig stellen muss, ist: Ab wann würde das oben genannte Misstrauen einsetzen? Gibt es einen bestimmten Zeitrahmen ab wann jemand „zu wenig“ Sex bekommen hat, sodass er als gefährlich betrachtet werden kann? Heißt das, die meisten die sich zu Erwachsenen hingezogen fühlen und zu lange keinen Sex hatten, eine Situation sofort ausnutzen würden, in der ein Erwachsener ihnen hilflos ausgeliefert ist, beispielsweise stark betrunken auf einer Party oder pflegebedürftig im Krankenhaus? Das würde in der Tat bedeuten, dass grundsätzlich jeder eine Gefahr ist, der sich Sex mit einem anderen Menschen wünscht und diesen nicht bekommt.

Gegenargument: Andere Menschen können den Druck durch Sex abbauen

Hier würde nun von vielen direkt das Gegenargument kommen, dass all diesen Gruppen gemein ist, dass sie ja einvernehmlichen Sex haben könnten, wenn sie wollten – „notfalls“ in einem Bordell. Hier gibt es schon das erste Problem. Kein Mensch hat ein Anrecht auf Sexualität mit einem anderen Menschen. Und es gibt verschiedene Gründe, weshalb diese eben nicht jederzeit für jeden sofort verfügbar ist. Grundsätzlich hat Sexualität keinen einheitlichen Stellenwert und auch die Ausprägung der Libido ist sehr verschieden.

Auch ein Bordellbesuch oder Sex ohne eine Beziehung ist nicht für jeden eine Option. Sei es:

  • weil man sich Sex nur innerhalb einer Beziehung vorstellen kann,
  • weil Sex, den man gewissermaßen erkaufen muss, für einen nicht den gleichen Wert hat wie der, den ein Mensch ohne Bezahlung mit einem eingeht,
  • weil man sehr hohe Ansprüche hat, was das Aussehen oder die Eigenschaften des bevorzugten Partners angeht,
  • weil man einen sehr speziellen Fetisch hat, den keiner mit einem ausleben will oder kann (dazu später mehr),
  • weil man auf viele Menschen nicht attraktiv wirkt,
  • oder ganz einfach aus Geldmangel.

„Sex haben“ heißt auch ganz allgemein nicht automatisch den Sex zu bekommen, den man sich wünscht. Wenn auf die eigenen Bedürfnisse nicht ausreichend eingegangen wird, ist man hinterher genauso unzufrieden wie vorher. Viele Menschen würden deswegen wahrscheinlich Masturbation schlechtem Sex vorziehen.

Und trotz all dieser verfügbaren Alternativen in Form von Pornografie, Prostitution, Partnerbörsen und der grundsätzlichen Möglichkeit jemanden kennenzulernen und eine Beziehung einzugehen werden tagtäglich auf der Welt Frauen (und auch Männer) vergewaltigt. Vergewaltigungen resultieren nicht aus einem Mangel an Sex. Nur, weil man nicht den gewünschten Sexpartner haben kann, hat man nicht plötzlich Lust darauf jemanden zu zwingen, mit einem Sex zu haben. Es setzt ein völlig anderes Denken voraus, so zu handeln. Auch vor sich selbst muss man dieses Verhalten zuerst rechtfertigen um es umsetzen zu können, denn niemand will sich selbst als schlechten Menschen sehen.

Sexuelle Handlungen sind immer eine klare Entscheidung und niemals ein „Versehen“ oder etwas, was bei starker sexueller Erregung „automatisch“ passiert. Menschen sind eben keine Tiere, die rein triebgesteuert handeln. Und die wenigsten wollen absichtlich jemandem schaden und wünschen sich in der Regel einvernehmliche Sexualität. Dass dennoch Übergriffe auf Frauen und Männer begangen werden, zeigt, dass ein sich hingezogen Fühlen zu einer bestimmten Menschengruppe allein nicht die Ursache übergriffigen Verhaltens sein kann.

Misstrauen, weil ein Anteil der Täter pädophil ist

Natürlich gibt es auch pädophile Missbrauchstäter. Allerdings stellen diese den deutlich kleineren Anteil der Täter dar – die meisten Menschen die Kinder missbrauchen sind tatsächlich gar nicht pädophil. Je nach Studie geht man in 60–90 % der Fälle davon aus, dass es sich hier um sogenannte Ersatzhandlungstäter handelt, die sich nicht zu Kindern hingezogen fühlen.

Es gibt verschiedene Menschengruppen, die zu diesen Ersatzhandlungstätern zählen und Übergriffe auf Kinder begehen. Dazu gehören zum Beispiel: Heterosexuelle, Männer, Jugendliche, Menschen mit bestimmten Persönlichkeitsstörungen und psychischen Erkrankungen und auch ehemalige Opfer sexuellen Missbrauchs. Wenn man dies nun auf die Spitze treibt, ist ein männlicher, heterosexueller Jugendlicher, der selbst Missbrauch erlebt hat, potenziell eine deutlich größere Gefahr für Kinder, als ein kernpädophiler Mann ohne nennenswerte psychische Belastungen. Wenn man also ehrlich besorgt um die Sicherheit von Kindern wäre, müsste man z. B. ehemaligen Missbrauchsopfern ein noch viel größeres Misstrauen entgegenbringen und ihnen den Umgang mit Kindern oder gar eigene Kinder absprechen. Man sieht vielleicht schon was wir damit ausdrücken wollen.

Verschiedene Risikofaktoren kombiniert, erhöhen zwar die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zu einer Gefahr für Kinder werden kann, aber eine Vorverurteilung als „gefährlich“ wegen einer (oder mehrerer) Eigenschaften ist weder fair noch zielführend und im Kern menschenverachtend. Eine Statistik sagt nichts über individuelle Menschen aus. Nur, weil mehr Mitglieder aus einer bestimmten Gruppe ein bestimmtes Verhalten zeigen, trifft das damit nicht automatisch auf alle zu, die dieser Gruppe angehören.

Man sollte also nicht den Fehler machen und daraus, dass es in einer Gruppe anteilig Täter gibt, schließen, dass grundsätzlich jeder Mensch der zufällig die gleiche Sexualität hat, auch eine „potenzielle Gefahr“ ist. Männer vergewaltigen in der Regel keine Frauen. Pädophile vergewaltigen in der Regel keine Kinder. Die Neigung zu Frauen macht nicht jeden Mann zu einer „tickenden Zeitbombe“, auch nicht, wenn er keine Möglichkeit hat seine Sexualität mit einem anderen Menschen auszuleben. Genauso wie die Pädophilie einen nicht „eher“ dazu bringt ein Kind zu missbrauchen.

Mangelndes Einfühlungsvermögen in unsere Situation

Wir denken, dass Leuten oftmals die Vorstellungskraft fehlt sich in unsere Lage zu versetzen. Dabei ist das eigentlich nicht schwer, denn wie wir weiter oben erläutert haben, gibt es ja diverse Menschengruppen, die ebenfalls keinen Sex haben (können). Die Schwierigkeit könnte also daran liegen, dass sie sich nicht vorstellen wollen, selber in einer Lage zu sein, in der sie keinen Sex haben können. Eventuell, weil ihnen die eigenen Gedanken und Gefühle dabei nicht gefallen, oder sie sogar Angst haben, dass sie selber so handeln würden, wie sie es uns unterstellen. Wir finden, wer anderen grundsätzlich unterstellt, er würde losziehen und jemanden vergewaltigen, nur weil er sexuell nicht 100 % das bekommen kann, was er sich wünschen würde, sollte vielleicht nicht direkt von sich auf andere schließen. Stell dir einmal selbst die Frage: Würdest du so handeln? Wenn nein, warum genau denkst du, dass das bei uns anders ist?

Fantasie ≠ Realität

Und um noch einmal zum Thema Fetisch, den man nicht ausleben kann zurückzukommen: Nicht jede Fantasie „möchte“ auch ausgelebt werden. Ein Beispiel: es gibt Menschen, die finden koprophile (Fetisch für Kot) Fantasien erregend, würden diese aber in der Realität niemals umsetzen wollen, z. B. aus hygienischen oder gesundheitlichen Gründen. Und auch Vergewaltigungsfantasien kommen häufiger vor, als man meint – aber auch Menschen mit Vergewaltigungsfantasien wollen nicht wirklich eine Vergewaltigung erleben müssen. Die meisten Menschen suchen sich Alternativen, in Form von Rollenspielen beispielsweise. Viele Fantasien sind auch einfach in der echten Welt gar nicht möglich, beispielsweise die Fantasie von einem Drachen verschlungen zu werden (Vorarephilie). Ähnlich verhält es sich für uns bei unseren sexuellen Fantasien. Die Realitätswelt deckt sich hier nicht mit der Fantasiewelt. Das kann ein Mensch ohne kognitive Störungen in der Regel gut trennen. Wir gehen so weit zu sagen, dass jemand der in der Lage ist einen Film von der Realität zu unterscheiden, dies auch bei seinen sexuellen Fantasien kann.

Ein entscheidender Unterschied ist hier außerdem, dass die Pädophilie im Regelfall ein romantisches und emotionales Interesse an Kindern mitbringt. Das heißt, die Verantwortung, die man für ein Kind hat, und die Gefühle sind deutlich komplexer als bei einem Fetisch, der sich erst einmal nicht auf die Person als solche, sondern rein auf die sexuelle Erregung durch den Fetisch bezieht. Ein Kind ist nun einmal ein Mensch mit einer eigenen Persönlichkeit und kein lebloses Objekt. Ein pädophiler Mensch wünscht sich eine Realität, in der das Kind Sexualität und Romantik auf die gleiche Art genießt, wie er. Das ist der Kern der Pädophilie.

Da dies nicht möglich ist, wird der sexuelle Anteil zu einer Fantasie, einer Art Traumvorstellung und oft konzentriert man sich daher umso mehr auf die kindgerechten Aktivitäten, die man ohne Probleme mit einem Kind erleben kann. Anders gesagt, wenn die tatsächliche Auslebung seiner Sexualität mit Kindern als potenziell schädlich akzeptiert wurde, gibt es auch keine „Versuchung“, danach zu handeln. Ganz egal in welcher Situation man sich befindet, weil man es nicht (mehr) jede Minute seines Lebens neu hinterfragen muss.

Verantwortung abgeben/Victim-Blaming

Wir können es nicht oft genug sagen: Kein Mensch braucht Sex um niemanden zu vergewaltigen. Sex ist kein „Stopper“ anderen keine Gewalt antun zu „müssen“. Im Prinzip sagt der Vorwurf, wir könnten uns irgendwann nicht mehr zurückhalten aus, dass ein Mensch gar nicht ohne Sexualität mit einem anderen Menschen existieren kann, ohne dabei potenziell gefährlich für andere zu sein. Das heißt, man überträgt hier die Verantwortung für das eigene Handeln auf einen anderen Menschen. Und jeder, der Sex mit jemandem ablehnt, würde demnach die Gefahr erhöhen, dass dieser Mensch zum Vergewaltiger wird. Eine ganz schöne Verdrehung der Tatsachen.

Das nur allzu oft genutzte Argument, dass Erwachsene sich ja wehren könnten, ist außerdem klassisches Victim-Blaming. Man unterstellt damit automatisch jedem Erwachsenen, der sexuelle Gewalt erlebt hat, dass er selbst Schuld daran ist vergewaltigt oder auch „nur“ verbal belästigt worden zu sein, denn er hätte sich ja (besser) wehren können und müssen. Übergriffiges Verhalten ist immer falsch und nicht jeder kann sich gegen so eine Grenzüberschreitung gut wehren, nur weil er erwachsen ist – und es ist auch gar nicht die Aufgabe dieser Person. Ein kleines Beispiel ist dieser Text von Rubricappula.

Nur weil die Personen, die man attraktiv findet, erwachsen sind, gibt einem das nicht das Recht dazu diese Menschen zu belästigen. Hier versuchen sich viele auf Erwachsene Ausgerichtete, aus ihrer eigenen Verantwortung zu ziehen, indem sie dem anderen Menschen aufbürden, „sich schon bemerkbar zu machen, wenn man eine Grenze überschreitet“. Das halten wir für den falschen Ansatz.

Unser Fazit ist also, es sind viel eher die fehlende Feinfühligkeit, Empathie und Selbstreflexion und auch neurologische und psychische Erkrankungen Einzelner, die jemanden zu einer Gefahr machen können, und nicht ihre Sexualität an sich. Ein selbstkritischer und empathischer Mensch ist deutlich weniger geneigt dazu, jemandem Leid zuzufügen.

Schlussendlich sei gesagt, wer Schwierigkeiten damit hat sein Verhalten zu kontrollieren, stellt aus unserer Sicht tatsächlich eine Gefahr dar und benötigt Unterstützung von Therapeuten und/oder Ärzten, um einen Umgang damit zu finden. Dies gilt ausnahmslos für absolut jeden Menschen, völlig gleich wer er ist und an welcher Art Mensch er romantisches oder sexuelles Interesse hat.