Gegen die Unterstellung missbrauchsverharmlosender Ideologien

Aktionswoche zur präventiven Medienaufklärung

Am 25. Januar wird eine Studie zu Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche erscheinen. Dies bedeutet leider auch, dass voraussichtlich viele Medienberichte veröffentlicht werden, die Missbrauch mit Pädophilie gleichsetzen. In der Vergangenheit ist das bereits oft vorgekommen: zum Beispiel beim rbb, der Zeit oder direkt von kirchlichen Organisationen.

In der Studie wird es auch um den Sexualwissenschaftler Helmut Kentler gehen, der in Kooperation mit dem Berliner Senat obdachlose Minderjährige an vorbestrafte Sexualstraftäter vermittelt hat. Er steht in Verbindung zu diversen historischen Aktivistengruppen, die Sex mit Kindern legalisieren wollten und dabei teils beachtlichen gesellschaftlichen Einfluss erlangt haben.

Verkürzt werden diese Gruppen oft als „pädophile Aktivisten“ oder Menschen mit „pädophilem Gedankengut“ bezeichnet. Dies unterstellt jedem pädophilen Menschen, die Legalisierung von Kindesmissbrauch erreichen zu wollen. Auch wenn es Gruppen pädophiler Menschen gibt, die solch missbrauchsverharmlosenden Ideologien anhängen, trifft dies nicht auf uns zu – und wir wollen nicht länger hinnehmen, dass unsere Existenz nicht anerkannt wird und wir mit Täter:innen und Anhängern kinderfeindlicher Ideologien in einen Topf geworfen werden.

Lasst uns also im Rahmen unserer Möglichkeiten tun, was wir können, um auf unsere Existenz aufmerksam zu machen.

Was kann ich tun?

Wir haben im Team von Wir sind auch Menschen eine Textvorlage zum Senden an Redaktionen und Organisationen erstellt, die sich vermutlich mit der Studie auseinandersetzen werden. Dass eine stigmatisierende Berichterstattung schon im Vorfeld absehbar ist, gibt uns die Chance, durch präventives Handeln und Aufklärung vielleicht den ein oder anderen stigmatisierenden Bericht verhindern zu können, bevor er überhaupt geschrieben wird.

Die Textvorlage findet ihr unten auf dieser Seite. Der Text kann von jedem verwendet und gerne auch individuell angepasst werden. Wichtig ist, dass sich möglichst viele Menschen beteiligen, sich an Redaktionen und Organisationen wenden und mit Mails, Leser:innenbriefe und Kommentaren auf sich aufmerksam machen. Es geht darum zu zeigen, dass wir existieren, und dass wir mehr sind als nur vereinzelte Ausnahmen, die man nicht zu berücksichtigen braucht.

Wie kann ich mich informieren?

Wir werden während der Aktion über unseren Mastodon-Account @wsam@paravielfalt.zone unter dem Hashtag #WirSindNichtKentler laufend berichten.

Am Donnerstag, 25. Januar (dem Tag der Veröffentlichung der Studie) wird es außerdem eine Sondersitzung des P-Punkte Chats geben, um sich über die Aktion auszutauschen.

Kontaktliste

Hier folgt eine Sammlung an Kontaktinformationen für verschiedene Redaktionen, die bereits in der Vergangenheit durch stigmatisierende Berichterstattung zu dem Thema aufgefallen sind. Achtet bei aller berechtigten Kritik unbedingt immer darauf, sachlich und respektvoll in euren Kontaktaufnahmen zu bleiben.

Evangelische Kirche in Deutschland (ekd.de)

Evangelischer Pressedienst (epd)

ZEIT ONLINE

evangelisch.de

Deutschlandfunk

Süddeutsche

Der Spiegel

taz

Medienberichte

Hier sammeln wir alle relevanten Medienberichte, die zu dem Thema bislang erschienen sind. Diese können gerne zum Anlass genommen werden, um einzelne Redaktionen und Autor:innen (immer sachlich!) direkt anzuschreiben oder, falls möglich, Kommentare direkt unter den Artikeln zu hinterlassen.

Die Liste enthält einige Artikel, die bereits vor Veröffentlichung der Missbrauchsstudie publiziert wurden, teils viele Vorurteile enthalten und damit die Befürchtung bestätigen, dass die Studie der Auslöser für zahlreiche stigmatisierende Medienberichte sein wird.

swiss-cath.ch, 23.01.2024: Homosexualität und Pädophilie.

Die Zeit, 18.01.2024: Die Sünden der Anderen (Paywall).

Queer.de, 17.01.2024: Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche arbeitet Pädo-Vergangenheit auf.

Die Tagespost, 17.01.2024: Ökumenischer Verein pflegte Kontakte zu Pädophilen.

Die Tagespost, 17.01.2024: Kentler & Co.: Pädophile in den eigenen Reihen (Kommentar).

Kath.ch, 17.01.2024: Kirchliche Gruppierung räumt Kontakt zu Pädosexuellen ein.

Katholische Presseagentur Österreich, 16.01.2024: Deutschland: Ökumenischer Verband räumt Kontakt zu Pädosexuellen ein.

Textvorlage

Sehr geehrte Damen und Herren,

bald wird eine Studie zu Missbrauchsfällen in der Evangelischen Kirche erscheinen. Dies berührt das kontroverse Thema der Pädophilie, zu dem viele falsche Vorurteile bestehen. Da ich davon ausgehe, dass Sie sicherlich auch einen Artikel dazu verfassen werden, möchte ich im Vorfeld auf einige häufig gemachte Fehler hinweisen.

Pädophilie bezeichnet die sexuelle oder romantische Ansprechbarkeit auf Kinder, welche die Pubertät noch nicht erreicht haben. Es handelt sich dabei um eine angeborene Eigenschaft, die sich Betroffene nicht aussuchen können. Eine vorhandene Pädophilie lässt keine Schlussfolgerungen auf Charaktereigenschaften, Verhalten oder persönliche Überzeugungen zu. Insbesondere von Kindesmissbrauch ist Pädophilie klar abzugrenzen: Die meisten Täter:innen sind nicht pädophil, und umgekehrt begehen die meisten Pädophilen keine sexuellen Übergriffe. [1]

Es werden häufig schon deshalb Dinge als schlecht klassifiziert, weil sie mit Pädophilie in Verbindung gebracht werden. Dies beruht oft auf der Annahme, dass Pädophile sich für die Legalisierung von sexuellem Kindesmissbrauch einsetzen oder diesen bereits begehen.

Es ist richtig, dass es in der Vergangenheit viele Gruppierungen von Menschen gegeben hat, die sich als pädophil identifizieren und welche die Ideologie einvernehmlicher und moralisch vertretbarer Sexualkontakte zwischen Erwachsenen und Kindern verbreitet haben. Daraus folgt jedoch nicht, dass alle pädophilen Menschen dieses Gedankengut gutheißen. Gerade in jüngerer Vergangenheit gibt es immer mehr pädophile Gruppen, die dieses Gedankengut ablehnen und sich in aller Deutlichkeit von missbrauchsverharmlosenden Akteuren distanzieren – als Beispiel seien hier Schicksal und Herausforderung e. V. [2] und Wir sind auch Menschen [3] genannt. Dabei handelt es sich um Gruppen, die sich davon schon immer klar und eindeutig abgegrenzt haben, anders als zum Beispiel der HuK. Bei all der berechtigten Kritik an den Aktivisten, die versucht haben sexuelle Handlungen mit Kindern zu legitimieren, ist es hier wichtig zu differenzieren, um Menschen, die damit nichts zu tun haben und dies nicht unterstützen, nicht mit zu verurteilen.

Auch ich identifiziere mich als pädophil und distanziere mich in aller Deutlichkeit von missbrauchsverharmlosendem Gedankengut.

Bei den von Kentler, der AHS oder der DSAP vertretenen Haltungen handelt es sich also nicht um pädophiles Gedankengut, sondern um Missbrauch legitimierendes Gedankengut, das von vielen pädophilen Menschen strikt abgelehnt wird. Pädophilie ist eine angeborene, nicht ausgesuchte Sexualpräferenz, die nichts über die politischen oder ideologischen Ansichten einer Person aussagt. Es gibt keine Einheitsmeinung unter Pädophilen und somit auch kein inhärent pädophiles Gedankengut. Im Sinne einer ausgewogenen und präzisen Berichterstattung möchte ich daher appellieren, von solchen Formulierungen abzusehen, welche am Ende auch diejenigen pädophilen Menschen stigmatisieren, die diese Haltungen gar nicht vertreten.

Es ist falsch, Homosexuelle pauschal zu verurteilen, weil in der Vergangenheit einzelne homosexuelle Aktivisten und Gruppen Kentler und andere unterstützt haben. Ebenso wenig sollten wir Pädophile jetzt vorverurteilen, nur weil einige Aktivisten in der Vergangenheit solches Gedankengut unterstützt haben. Gerade da, wie oben bereits erwähnt, auch pädophile Gruppen existieren, welche dieses Gedankengut ablehnen.

Außerdem heißt es im Zusammenhang mit Kentler und seinem „Experiment“ häufig, er habe Kinder an „pädophile Pflegeväter“ vermittelt. Diese Darstellung ist zumindest problematisch und irreführend. Beim Kentler-„Experiment“ ging es überwiegend um die Vermittlung Minderjähriger im Alter von 13 - 17 Jahren an vorbestrafte Täter [4]. Es ist nicht klar, ob es sich dabei um Pädophile handelte. Die meisten Kindesmissbrauchstäter sind nicht pädophil. Die Narrative, Kentler hätte Kinder an „Pädophile” vermittelt, stellt Pädophilie mit sexualisierter Gewalt gleich und ist damit stigmatisierend gegenüber pädophilen Menschen wie mich, die keine Straftaten begehen.

Als eine grundlegende Hilfestellung für eine Berichterstattung, die keine unbeteiligten Menschen stigmatisiert, kann ich Ihnen auch den folgenden Link empfehlen:
https://wir-sind-auch-menschen.de/orientierungshilfen-fuer-journalisten.

Mit freundlichen Grüßen
<NAME>


[1] https://www.kein-taeter-werden.de/haeufig-gestellte-fragen/
[2] https://suh-ev.de/sachliches/ablehnung-von-smk
[3] https://wir-sind-auch-menschen.de/unsere-haltung-zu-sex-mit-kindern
[4] https://web.archive.org/web/20170120231109/http://www.demokratie-goettingen.de/content/uploads/2016/12/Projektbericht_Kentler_Adressenliste_Online_G%C3%B6ttinger-Demokratieforschung2016-11.pdf