Aktuelles
Am Freitagvormittag fanden in Österreich landesweite Razzien gegen eine Gruppe von 15 teils jugendlichen Männern und Frauen statt, die Teil der sich immer weiter ausbreitenden sogenannten „Pädojäger“-Szene waren. Ihnen werden körperliche Übergriffe, Raub und sogar ein versuchter Mord vorgeworfen, mit derzeit 17 bekannten Opfern. Die Beschuldigten rechtfertigten ihre Taten damit, dass sie Pädophile jagen und bestrafen wollten. Dafür legten sie Fake-Profile auf Dating-Plattformen an, wo sie mit ihren Opfern erst chatteten und sie dann zu einem Treffen an einem abgelegenen Ort lockten. Statt des erwarteten Partners überfielen sie dort mehrere maskierten Personen, die brutale und mit jedem Fall eskalierende Gewalt an den Opfern vornahmen. Während der Razzia wurden neben Waffen und Drogen auch NS-Symbole gefunden, zudem gibt es Verbindungen von den Beschuldigten in die rechtsextreme Szene.
Der Fall ist das jüngste Beispiel eines internationalen Trends, der auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Fuß fasst. Immer wieder ist es in den letzten Jahren zu Gewaltexzessen durch selbsternannte „Pädojäger“ gekommen. Erst vergangenen Oktober wurde eine in der Schweiz von der Polizei zerschlagen, die sich die rechtsextreme russische „Pädojäger“-Gruppe Occupy Pedophilia zum Vorbild genommen hatte und ebenfalls aus sehr jungen Mitgliedern bestand. In der Bevölkerung finden die Verbrechen solcher Gruppen oft breite Zustimmung. Die Gewaltverbrechen in Österreich lösten dagegen untypischerweise starke Empörung aus. Der Grund dafür dürfte sein, dass es sich bei den Opfern ausschließlich um Homosexuelle gehandelt hat, den Täter:innen ging es wohl vor allem darum, Homosexuelle einzuschüchtern, wobei sie nur als scheinbare Rechtfertigung vorgaben, „Pädophile“ zu jagen. Die Polizei bezeichnet die Fälle daher als Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Orientierung.
In der Medienberichterstattung, aber auch von der Polizei selber, wurde mehrfach mit Nachdruck betont, dass die Opfer dieser Gewaltverbrechen nicht pädophil gewesen seien. Die meisten Medien, die über den Fall berichtet haben, betonten diesen Aspekt ebenso mit Nachdruck. Auch Mario Lindner, Gleichbehandlungssprecher der SPÖ, verurteilte scharf, dass die Täter:innen „ihren Opfern Pädophilie“ unterstellt hätten. Dies hinterlässt einen faden Beigeschmack, insbesondere im Hinblick auf von „Pädojägern“ begangene Gewalttaten aus der Vergangenheit, die nicht annähernd auf so viel Protest stießen und von Medien den Täter:innen sogar teils noch eine Bühne gegeben wurde. Wären die Gewalttaten weniger schlimm oder gar akzeptabel gewesen, hätten die Täter:innen tatsächlich Pädophile zum Ziel gehabt?
Die inzwischen zahlreichen Verbrechen von selbsternannten Pädojägern sind in jedem Fall zu verurteilen, nicht nur dann, wenn es gesellschaftlich akzeptierte sexuelle Minderheiten trifft. Taten wie jene in Österreich sind mit das Ergebnis einer medialen Berichterstattung, die seit Jahren diesen „Jägern“ eine Bühne bietet, sie damit legitimiert und ihr fragwürdiges Verständnis von Rechtsstaatlichkeit zur Verbreitung verhilft. Schon alleine die selbstgewählte Bezeichnung als „Pädojäger“ und die damit verbundene Darstellung, dass Pädophile wie wilde Tiere gejagt gehören, ist zutiefst menschenverachtend, wird aber selten kritisch hinterfragt und erlangt dadurch an sozialer Akzeptanz. Es ist daher auch nicht überraschend, dass gewaltbereite kriminelle Banden darauf aufbauend versuchen, ihre Gewalt zu rechtfertigen, indem sie ihre Opfer als Pädophile bezeichnen.
Die mediale Glorifizierung und Legitimierung von „Pädojägern“ muss endlich konsequent ein Ende finden, ansonsten sind weitere Gewalttaten durch solche sich als „Pädojäger“ inszenierenden Lynchjustiz-Gruppen vorprogrammiert.
Paravielfalt abgeschaltet
Vergangenen Freitag wurde die Mastodon-Instanz paravielfalt.zone abgeschaltet, die im September 2023 als soziales Netzwerk für pädophile Menschen gestartet wurde. Grund für die Abschaltung ist ein Mangel an Interesse und zu wenig aktive Nutzer:innen. Ab Mai läuft auch der Vertrag für die Domain aus, sodass diese danach potenziell von anderen Parteien benutzt werden kann. Von da an ist ein Besuch der Domain daher möglicherweise mit Gefahren verbunden. Wir raten daher dringend, Webadressen unter paravielfalt.zone spätestens ab dann nicht aufzurufen und gegebenenfalls Lesezeichen, die auf die Domain führen, zu löschen.
Von einigen der Betreiber der Instanz gibt es auf Kinder im Herzen außerdem einen Beitrag mit Gedanken zu der Abschaltung und den vergangenen eineinhalb Jahren zu lesen.
2021 stellte die damalige Große Koalition den Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen unter Strafe. 2022 erreichten das Bundesverfassungsgericht dazu zwei Verfassungsbeschwerden, die beide vom Gericht zur Entscheidung angenommen wurden und es damit schon einmal weiter geschafft haben als 95 % aller Verfassungsbeschwerden. Auf der Webseite des Bundesverfassungsgerichts wurden nun beide Beschwerden unter den geplanten Entscheidungen für 2025 gelistet – nach Jahren des Wartens ist also endlich mit einer Entscheidung im Laufe des Jahres zu rechnen.
In den letzten Jahren hat das Verbot viel unnötiges Leid erzeugt, wurde durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse deutlich infrage gestellt und vor allem von Jurist:innen immer wieder scharf als unverhältnismäßig und unmenschlich kritisiert. Auch, wenn ein Erfolg der Beschwerden nicht garantiert ist, ist es schon einmal ein wichtiger Schritt, dass sich das Bundesverfassungsgericht überhaupt mit Fragen der Grundrechte Pädophiler beschäftigt. Die Beschwerden werden vom Zweiten Senat verhandelt.
Im Landtag Niedersachsen wird derzeit ein Antrag der AfD-Fraktion diskutiert, in dem gegen Pädophile im Allgemeinen und Wir sind auch Menschen im speziellen gehetzt wird. Der Antrag ist vergangene Woche nach einer Parlamentsdebatte, in der einige problematische Aussagen gefallen waren dem Ausschuss für Inneres und Sport überstellt worden. Wir haben nun einen offenen Brief an die Abgeordneten des Ausschusses formuliert, um auf Falschdarstellungen hinzuweisen und die gewünschten Grundrechtsverletzungen der AfD anzuprangern.
Der offene Brief ist hier zu finden.
Die Saga um Wir sind auch Menschen und die niedersächsische AfD geht in die nächste Runde. Nachdem die AfD im vergangenen Dezember Wir sind auch Menschen als Kinderschänder-Webseite diffamierte und anschließend eine Kleine Anfrage an die Landesregierung stellte, die von der Regierung weitestgehend sachlich und differenziert beantwortet wurde, stellte die Fraktion daraufhin einen Antrag, der heute in der 61. Landtagssitzung in erster Beratung verhandelt wurde. Der Antrag erwähnt Wir sind auch Menschen namentlich, fordert von der Landesregierung eine ausdrückliche Distanzierung von unseren Ansichten und behauptet unter anderem wahrheitswidrig, dass wir die Bemühungen der SchwuP fortführen würden. Die SchwuP war eine Schwulenorganisation, die in den 1980ern als Beratungsgremium der Grünen agierte und in der Position sich regelmäßig für die Entkriminalisierung von Sex mit Kindern eingesetzt hat, bis sie 1987 schließlich aufgelöst wurde.
Wenig überraschend enthielt somit auch die Rede der AfD-Abgeordneten Vanessa Behrendt vor dem Landtag zahlreiche Hassbotschaften und Falschaussagen. Behrendt sprach von Pädophilen pauschal als „Kräfte in diesem Land, die Kinder nicht schützen, sondern schaden“. Gleichzeitig riss sie Teile der Antwort auf die Kleine Anfrage aus dem Kontext, und instrumentalisierte das Thema, um die restlichen Parteien im Landtag anzugreifen. Abschließend forderte sie dennoch alle Parteien auf, gemeinsam den „Pädo-Sumpf“ trockenzulegen und „den Pädophilen den Kampf anzusagen“. Das Ziel der AfD ist also nichts Geringeres als die totale Auslöschung pädophiler Menschen aus dem öffentlichen Diskurs.
Die Redner:innen der CDU und SPD verurteilten sämtlich das Auftreten von Behrendt und der AfD scharf. Überwiegend problematisierten sie dabei allerdings die versuchte Verunglimpfung der Landesregierung über den falschen Vorwurf, dass die sogenannte „Pädo-Lobby“ Einfluss auf die Regierung nehmen und ihr nahe stehen würde. Dies belegte die AfD damit, dass die Regierung eine Mail zu ihrer Kleinen Anfrage erreichte, in der auf eine inhaltliche Falschdarstellung bezüglich unserer Ansichten zu Kinderkontakt in der Anfrage hingewiesen wurde. Obwohl wir auf eben diese Falschdarstellung in unserer Berichterstattung auch hingewiesen hatten, kam die Mail selber dabei noch nicht einmal von uns.
Gegen die hetzerischen und entwürdigenden Aussagen gegen Pädophile protestierten die Abgeordneten wiederum nicht, eher im Gegenteil. Zwar wurde die Antwort auf die Kleine Anfrage vollständig vorgelesen und damit insbesondere die Falschdarstellungen der AfD zu den Zielen und Ansichten von Wir sind auch Menschen widerlegt, gleichzeitig wurde sich aber auch von Pädophilie ausdrücklich distanziert. Besonders negativ aufgefallen ist hier die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens von der SPD, die als Verteidigung auf die Vorwürfe der AfD erwiderte, dass die Regierung „ausdrücklich“ Pädophile nicht schützen oder gutheißen würde. Dies ist als Antwort auf die menschenverachtenden Ansichten der AfD und ihren Versuchen, staatliche Apparate zur Repression pädophiler Menschen zu missbrauchen besonders enttäuschend.
Der Antrag der AfD wurde nach einstimmiger Abstimmung in den Ausschuss für Inneres und Sport überführt.
Polizei und Politik schauen weiterhin untätig der Verbreitung von Missbrauchsabbildungen zu
2021 fand eine Journalistengruppe von STRG_F und dem ARD-Magazin Panorama heraus, dass zahlreiche kinderpornografische Inhalte auf offen erreichbaren Datei-Hostern verfügbar waren, die von der Polizei bislang nicht aktiv verfolgt oder entfernt wurden. Innenministerin Nancy Faeser gelobte darauf Besserung und erzählte in den Folgejahren mehrmals, dass die Arbeitsweise beim BKA umgestellt worden sei und dort nun verstärkt proaktiv illegale Inhalte aus dem Netz gelöscht werden. In einer heute veröffentlichten Folgerecherche stellten die Journalisten jetzt fest, dass dies offenbar nicht der Wahrheit entspricht und sich die Situation in den vergangenen vier Jahren nicht wesentlich geändert hat. Nach wie vor existieren gewaltige Mengen von Missbrauchsabbildungen, die auf grundsätzlich legalen Plattformen gehostet sind und gegen die das BKA nach wie vor nichts unternimmt. Mehr noch, in einem geheim eingestuften Bericht sprachen sich die Innenminister:innen der Länder insgeheim sogar gegen konsequente Löschungen aus, da dafür angeblich das Personal fehle.
In einem über mehrere Monate hinweg geführten Experiment bewiesen die Journalisten zudem, dass mit vergleichsweise wenig Aufwand die kriminelle Szene im Darknet empfindlich gestört werden kann. So konnten sie erreichen, dass in dem Zeitraum mehrere Terrabyte an Daten aus dem Internet gelöscht wurden, die Verbreitung von neuem Material deutlich zurückgegangen ist und ein Forum für den Austausch von Missbrauchsabbildungen sogar komplett geschlossen wurde.
Erneut stellt sich hier die Frage, warum die Innenminister und die Strafverfolgungsbehörden sich vehement weigern, illegales Material aus dem Netz zu entfernen. Diese Frage stellt sich insbesondere auch vor dem Hintergrund der Gesetzesverschärfung, die Kindersexpuppen mit kindlichem Aussehen unter Strafe stellte. Diese wurde unter anderem damit begründet, dass Nutzer:innen dadurch zu weiteren Straftaten gegen reale Kinder animiert werden könnten. Gleichzeitig wird mit der Weigerung, illegale Inhalte konsequent zu löschen und damit deren ständige Verfügbarkeit in Kauf zu nehmen, ein sehr realer Anreiz zu Straftaten nicht aus der Welt geschaffen, obwohl dies technisch relativ einfach möglich wäre. Die Recherche der Journalisten zeigt, dass mit verhältnismäßig wenig Aufwand die Verbreitung illegaler Inhalte verhindert oder zumindest wesentlich erschwert werden kann. Das bedeutet einerseits eine deutliche Erleichterung für Betroffenen, die in den Bildern und Videos zu sehen sind. Gleichzeitig kann das Löschen auch präventiv verhindern, dass Menschen überhaupt erst zu Tätern werden, indem die Verfügbarkeit illegaler Inhalte gesenkt und damit Hürde für das Begehen von Straftaten in dem Bereich erhöht wird.
Aus dem Grund sprechen auch wir uns für eine klare Bekenntnis zur konsequenten Verfolgung von Missbrauchsabbildungen und für den Einsatz von Ressourcen für die dauerhafte Fortführung der Löscharbeit der Journalisten aus, damit den kriminellen Plattformen überhaupt erst keine Gelegenheit gegeben wird, sich zu „erholen“.
Hinweis: in der Berichterstattung zu dem Thema wird sehr oft von „Pädokriminalität“ gesprochen. Wir lehnen diesen Begriff ab, da er einen direkten Zusammenhang von Straftaten mit Pädophilie suggeriert, dadurch Unschuldige stigmatisiert und verschleiert, dass die meisten der sogenannten „pädokriminellen“ Taten nicht von Pädophilen begangen werden. Wir halten die Ergebnisse der Recherche dennoch für wichtig genug, um darüber zu berichten.
Vergangenen Dezember stellten einige Abgeordnete der AfD in Niedersachsen eine kleine Anfrage zu Wir sind auch Menschen an den Landtag. Seit gestern liegt die Antwort der Landesregierung vor, zu der wir kurz Stellung beziehen wollen.
Wir sind sehr erfreut darüber, dass die Landesregierung das Ziel von Wir sind auch Menschen erkannt hat und mit sachlichen Informationen über das Projekt als auch das Thema Pädophilie insgesamt antwortet. Die Abgeordneten der AfD hatten zuvor versucht, WsaM unter anderem als „Kinderschänder-Webseite“ zu diskreditieren. Hierzu stellt die Landesregierung richtig fest: „Die Internetseite ‚Wir sind auch Menschen‘ spricht sich ausdrücklich gegen strafrechtliche Handlungen wie sexuellen Kindesmissbrauch sowie solche im Kontext von Missbrauchsabbildungen aus.“ Ein wenig bedauerlich ist es lediglich, dass auf eine Stellungnahme unserer Forderung, Pädophilie in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen, verzichtet wurde. Die Regierung beschränkt sich hier lediglich darauf, den Status quo darzustellen.
Die Antwort markiert eine vorläufige Zäsur in einer andauernden Hetzkampagne, die vor allem die niedersächsische AfD-Abgeordnete Vanessa Behrendt auf X derzeit führt. Ebenfalls vergangenen Monat hatte sie außerdem versucht, uns mit einer Strafanzeige einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Die Strafanzeige ist nach unseren Informationen vor kurzem von der Polizei eingestellt worden.
Stellungnahme zum geplanten Wohnprojekt für pädophile Jugendliche mit Intelligenzminderung
Bereits seit April 2023 plant die Charité Berlin in Kooperation mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF gAG) die Einrichtung einer Wohngruppe für Jugendliche mit Intelligenzminderung und sexueller Ansprechbarkeit für Kinder. Zu Beginn sollen dafür acht Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren aus Berlin und Umgebung in ein über 100 km weit entferntes Dorf gebracht werden. Von Anfang an stieß die Idee auf Kritik und Widerstand, die im Dezember vergangenen Jahres in einer Petition mündete, die inzwischen von etwa 2500 Menschen unterzeichnet wurde. Von den Petenten, aber auch von der zuständigen Kreisbehörde werden unter anderem fehlende Sicherheitskonzepte, fehlende Kooperation mit Institutionen vor Ort und eine ungenügende Infrastruktur bemängelt, sowie fehlende Ressourcen im Krisenfällen, da insbesondere die Charité aufgrund der Entfernung keine kurzfristigen Interventionen leisten kann. Die Kritik wurde von der EJF gAG und der Charité bisher weitestgehend ignoriert. Erst letzten Freitag äußerte sich Prof. Klaus Beier auf wachsendem medialen Druck hin erstmals öffentlich zu dem Vorhaben. Als Antwort auf Beiers Verteidigung des Projekts möchten wir die Kritik in einer eigenen Stellungnahme aus Sicht pädophiler Menschen und Selbsthilfe-Anbieter ergänzen.
In der Selbsthilfearbeit stellen wir immer wieder fest, wie schwierig es für Menschen ist, Hilfe zu bekommen, die neben ihrer Pädophilie von Problemen wie Suchtkrankheiten, Depressionen, Erfahrungen von sexualisierter Gewalt oder auch Intelligenzminderung betroffen sind. Hilfsangebote für diese Probleme sind oft mit dem Thema Pädophilie überfordert, haben keine sachgerechten Kompetenzen und „lösen“ das Dilemma nicht selten durch Ausschluss der pädophilen Person aus dem Hilfsangebot. Die ohnehin schon rar gesäten Anlaufstellen für pädophile Menschen wiederum sind oft ungeeignet darin, diese Probleme zu bearbeiten. Und auch die Selbsthilfe kommt hier schnell an ihre Grenzen. Als Folge durchlaufen Betroffene häufig einen jahrelangen Spießrutenlauf von einer Anlaufstelle zur nächsten, ohne dass sie die Unterstützung finden, die sie tatsächlich benötigen. Aus dieser Perspektive ist der Aufbau einer spezialisierten Einrichtung, die sich um pädophile Jugendliche mit einer Intelligenzminderung kümmert und intensive zielgerichtete Betreuung gewährleistet, grundsätzlich zu begrüßen. Wichtig ist aber, dass so ein Projekt so aufgebaut wird, dass die Sicherheit und professionelle Betreuung der Teilnehmer:innen zu jeder Zeit gewährleistet wird, und gerade hier sehen wir eklatante Mängel.
Ein absolutes No-Go ist es aus unserer Sicht, dass der genaue Ort der Wohngruppe im Vorfeld bereits medial bekannt ist. Ähnlich wie auch die exakten Therapiestandorte der Kein Täter Werden Einrichtungen aus gutem Grund nicht öffentlich genannt werden, muss dies auch unbedingt für eine Wohngruppe gelten, in der mehrere pädophile Menschen untergebracht werden sollen. Alles andere bedeutet, die Jugendlichen einer nicht kalkulierbaren Gefahr für Leib und Leben auszusetzen, insbesondere in Zeiten des sich immer mehr verbreitenden Phänomens der oft auch gewaltbereiten sogenannten „Pädojäger“. Hier stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob so ein Projekt im ländlichen Umfeld, wo jeder jeden kennt und sich schnell verbreiten wird, wer die Jugendlichen in einer neuen Wohngruppe sind, überhaupt durchführbar ist. Besonders irritierend wirkt es hier, dass Prof. Beier die Sicherheitsfrage nur aus der Perspektive zu denken scheint, wie ortsansässige Kinder vor den Jugendlichen geschützt werden können, und laut Lokalpolitiker Henryk Wichmann (CDU) noch nicht einmal ein mit der Polizei abgestimmtes Sicherheitskonzept existiert. Es scheint hier kein Bewusstsein für die besondere Vulnerabilität der Jugendlichen gegenüber möglichen gewalttätigen Übergriffen zu bestehen, was ernsthafte Zweifel daran wecken lässt, dass die Betreiber die Sicherheit und Unversehrtheit der Jugendlichen, aber auch des angestellten Fachpersonals in ihrer Verantwortung hinreichend gewährleisten können.
Darüber hinaus haben wir die Sorge, dass auch innerhalb des Wohnprojekts die Sicherheit aller Bewohner nicht gewährleistet ist. Die jüngsten Bewohner der Gruppe sollen gerade einmal 12 Jahre alt sein und sind damit selber noch Kinder. Wenn das Risiko für Missbrauchshandlungen bei den Jugendlichen laut Beier „sehr hoch“ ist, stellt sich die Frage, ob insbesondere die jüngeren Bewohner der Wohngruppe ausreichend vor Übergriffen durch andere Bewohner geschützt sind. Die Jugendlichen sollen schließlich nach Beiers Darstellung aus ihren regulären sozialen Kontexten entfernt werden, gerade weil sie dort im Kontakt mit Kindern stehen, und werden dann doch wieder in eine Wohngruppe untergebracht, in der sie im ständigen Kontakt mit Kindern sein werden. Hier entsteht bei uns der Eindruck, es sollen potenzielle Opfer einfach durch andere (pädophile) potenzielle Opfer ersetzt werden, bei denen ein tatsächlicher Übergriff als weniger schlimm gesehen wird. Aber auch für potenzielle Übergriffe durch das betreuende Fachpersonal wird ein Schutzkonzept benötigt. Durch den Umgang mit einer Gruppe, die gesellschaftlich als vogelfrei zählt, kognitiv eingeschränkt, räumlich isoliert und gleichzeitig dem Fachpersonal völlig ausgeliefert ist, bietet das Projekt die idealen Voraussetzungen für Gewalt gegen die teilnehmenden Jugendlichen, denen durch strukturelle Maßnahmen Rechnung getragen werden muss.
Generell sind die propagierten Behandlungsmethoden problematisch. Sicherheitsbedenken bezüglich Übergriffen, die von den Jugendlichen ausgehen könnten, begegnet Beier mit dem Hinweis, dass notfalls auch GPS-Armbänder und Medikation zum Einsatz kommen würden. Von einer Freiwilligkeit dieser Behandlungsmethoden, oder auch der Unterbringungsmaßnahme als Ganzes, wird nicht geredet. Dabei handelt es sich um Methoden, die tief in die Persönlichkeitsrechte und Freiheit der Jugendlichen eingreifen und als Teil des regulären geplanten Therapieprogramms auch rechtlich zumindest fragwürdig sein dürften.
Fragwürdig ist ebenfalls, wie durch die Unterbringung in einer öffentlich bekannten Wohngruppe die gesellschaftliche Teilhabe der Jugendlichen erreicht werden soll. Als Ort des Experiments wurde scheinbar bewusst eines der am dünnsten besiedelten Gebiete in Deutschland gewählt, um die Chance, dass die Jugendlichen in Kontakt mit Kindern geraten, so gering wie möglich zu halten. Dies ist das Gegenteil von Integration und gesellschaftlicher Teilhabe. Die Jugendlichen werden so an den Rand der Gesellschaft gestellt, als Pädophile stigmatisiert und aus ihren regulären Sozialverhältnissen gerissen. Es wird daraus effektiv eine Form von Ghettoisierung, die an Siedlungen in den USA erinnert, in denen nur Sexualstraftäter wohnen, weil diese aufgrund massiver Einschränkungen oft nirgendwo anders leben dürfen. Es stellt sich weiterhin die Frage, wie dieses Leben auf die Zeit als erwachsenes Mitglied der Gesellschaft vorbereiten soll. Auch hier wischt Prof. Beier diese Bedenken lapidar zur Seite, was nicht unbedingt Vertrauen dafür weckt, dass er sie ernst nimmt oder als großes Problem sieht. Ein „gesellschaftlicher Dialog“ soll eröffnet werden, um den Menschen zu zeigen, dass Ausgrenzung nicht sinnvoll ist, erzählt Beier, der aus Zeitgründen bisher die Teilnahme an allen Bürgerdialogen vor Ort abgesagt hat. Wie dieser Dialog aussehen soll und wie er verhindern soll, dass der durchschnittliche Dorfbewohner den Jugendlichen mit tiefem Misstrauen begegnet, nachdem Beier selber die Jugendlichen kurz darauf als „sehr hohes“ Risiko bezeichnet, bleibt unklar. Wenn die Jugendlichen erst einmal als pädophil gebrandmarkt sind und sie womöglich auch online an den Pranger gestellt werden, hat dies Auswirkungen auch über die Unterbringung in der WG hinweg potenziell auf deren ganzes Leben, und wird einer Eingliederung in der Gesellschaft fundamental im Wege stehen. Dabei ist es darüber hinaus auch grundsätzlich fragwürdig, ob man etwa bei zwölfjährigen Kindern als Außenstehender überhaupt schon gesichert von einer Pädophilie bzw. „Präferenzbesonderheit für das kindliche Körperschema“ sprechen kann.
Zusätzlich zu den Bedenken, die sich für das Projekt direkt ergeben, haben wir auch Sorgen, was für Auswirkungen die Darstellung des Projekts auf die Stigmatisierung und Marginalisierung pädophiler Menschen hat. Wir halten den Ansatz, pädophile Menschen durch Ausgrenzung, Medikation und eine Art elektronischer Fußfessel zu „kontrollieren“ für fundamental falsch. Es ist schwierig, wenn das als valide Umgangsform mit pädophilen Menschen etabliert wird, und damit Stimmen, welche dies als Zwangsbehandlung für alle Pädophile fordern, eine scheinbare argumentative Grundlage gegeben wird.
Zusammenfassend halten wir den Ansatz, Wohngruppen speziell für pädophile Menschen mit besonderen Herausforderungen aufzubauen, für grundsätzlich nicht verkehrt. Das Projekt der Charité und der EJF erfüllt aber aus unserer Sicht grundlegende und wichtige Kriterien nicht. Ein Projekt dieser Art muss die menschenwürdige Behandlung der teilnehmenden Personen garantieren können, und darf sie nicht nur als „Problem, das in der Gesellschaft ist“ verstehen. Dazu gehört auch ein ausgearbeitetes Schutzkonzept, das die körperliche und geistige Unversehrtheit garantiert, Konzepte zur gesellschaftlichen Integration und Teilhabe, und ein Therapiekonzept, das nicht nur allein auf Prävention und Verhaltenskontrolle unter teils fragwürdigen Methoden basiert.
Warnung vor Andrew Gold
Im Jahre 2019 stellte sich der damals weitestgehend unbekannte britische Journalist Andrew Gold der deutschen Pädophilenszene auf der Suche nach Interviewpartnern vor. Im Laufe der Jahre veröffentlichte er eine Podcastfolge, ein Buchkapitel und ein kurzes Video zu dem Thema, die allesamt boulevardeske Darstellungen, suggestive Schnitte und diverse Falschaussagen enthalten. Zu den Pädophilen, mit denen sich Gold getroffen hat, zählten auch WsaM-Mitglieder Ruby und Sirius. In einem offenen Brief auf Kinder im Herzen gehen sie jetzt auf Golds Falschdarstellungen ein und stellen diese richtig.
Im Angesicht der massiven Vertrauensbrüche, der stigmatisierenden Darstellungen über Pädophile und der allgemein unjournalistischen Arbeitsweise wollen wir hiermit jedem von einer Zusammenarbeit mit Andrew Gold eindrücklich abraten.
Anlässlich zweier Verfassungsbeschwerden gegen das Verbot von Sexpuppen mit kindlichem Aussehen (2 BvR 1096/22 und 2 BvR 1097/22) verfasste Fachanwältin Dr. Jenny Lederer einen wissenschaftlichen Aufsatz in der Zeitschrift „StV -Strafverteidiger“. Der Aufsatz kritisiert das Verbot scharf. Dr. Lederer sieht darin ein Beispiel für eine „geradezu irrationale und nicht-evidenzbasierte“ Kriminalpolitik, die sämtliche wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert. Während das Verbot auf Argumenten wie einer vermeintlichen Senkung der Hemmschwelle für realen Missbrauch basiert, für die es keine Evidenz gibt, werden gleichzeitig wissenschaftliche Ergebnisse ignoriert, die darauf hindeuten, dass Puppen sogar missbrauchspräventive Wirkung haben können.
Der besondere Unwille des Gesetzgebers, sich mit wissenschaftlichen Evidenzen auseinanderzusetzen, zeige sich auch daran, dass die fast einstimmige Kritik der Sachverständigen an dem Verbot und eine Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages ignoriert wurde. Gleichzeitig wurden keine Bemühungen umgesetzt, um die Wirkung des Gesetzes zu evaluieren.
Weiterhin kritisiert Dr. Lederer, dass mit dem Verbot nicht mehr schädliches Verhalten, sondern vor allem Fantasien verboten werden sollen, die als „unsittlich“ gelten:
Das als „pervers“ und „widerlich“ Ausgemachte und Stigmatisierte wird nun kriminalisiert. Und zwar sehenden Auges, dass es keine abschließenden empirischen Erkenntnisse zu der Auswirkung der Verwendung solcher Objekte im Zusammenhang mit tatsächlichen Missbrauchshandlungen an Kindern gibt. Maßgeblich ist „der Eindruck, dass zumindest das Risiko besteht“
Insgesamt kommt Dr. Lederer zu dem Schluss, dass die Strafvorschrift „menschenverachtend“ ist und „nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben und dem Anspruch eines Gesetzgebers“ entspricht.
Eine Kurzzusammenfassung des Beitrags kann bei LTO abgerufen werden.