News vom 04.03.2023

Eine umfassende Untersuchung über Missbrauchsfälle im Bistum Mainz, die gestern vorgestellt wurde, bestätigt erneut, dass die meisten Missbrauchstäter:innen nicht pädophil sind. Von den Beschuldigten in den Fällen, die betrachtet wurden, konnte Pädophilie „nur bei einem geringen Teil“ festgestellt werden. Der Großteil der Taten geht stattdessen auf narzissstisch-soziopathische Täter:innen zurück, denen es um Machtausübung und Demütigung geht, und auf regressiv-unreife Täter:innen, die aufgrund von Defiziten in der persönlichen und sexuellen Entwicklung missbrauchen.

Die Autoren schreiben dazu:

Nachdem noch bis 2010 häufig die Vorstellung vom krankhaft pädophilen Sexualstraftäter dominierte, belegt auch diese Abbildung, dass der fixierte Typus einen eher geringen Anteil an der Gesamtheit der Vorfälle sexualisierter Gewalt aufweist. Deutlich wird vielmehr, dass bei Vorfällen von sexualisierter Gewalt Machtausübung und sexuelle Unreife eine wesentliche Rolle spielen.

Auch wenn die Untersuchung auf eine genaue statistische Einschätzung bewusst verzichtet, bestätigt sie allgemeine Erkenntnisse zu Missbrauch, nach denen die meisten Kindesmissbrauchstäter:innen nicht pädophil sind.

Darüber hinaus kommen die Autoren der Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die pauschale Reduzierung der Ursachen von Missbrauch auf Pädophilie die Aufarbeitung und Prävention in der Kirche über Jahre hinweg erschwert hat.

Besonders aus heutiger Perspektive ist das Bistum erst am Anfang, ein Verständnis für die Thematik zu entwickeln. So liegt der Fokus in dieser Zeit klar auf dem krankhaft pädophilen Täter, ohne die jeweiligen Bedingungsfaktoren der Vorfälle ernsthaft zu reflektieren. […] Das mangelnde Verständnis äußert sich in vielen Bereichen des Umgangs mit Missbrauchsfällen. Es wirkt sich auch aus auf Fragen der Prävention, die noch völlig im Hintergrund sind. Zudem werden verschiedene Ideen und Ansätze von Mitarbeitern weitgehend ignoriert und nicht in konkretes Handeln übertragen.

Damit liefert die Untersuchung ein trauriges Beispiel dafür, dass die Stigmatisierung von Pädophilie und die Gleichstellung von Pädophilie und Missbrauch auch für den Kinderschutz schädlich ist und Missbrauchstaten begünstigt.

Der über 1000-seitige Bericht kann hier im Original abgerufen werden.