News vom 26.01.2025
Bereits seit April 2023 plant die Charité Berlin in Kooperation mit dem Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerk (EJF gAG) die Einrichtung einer Wohngruppe für Jugendliche mit Intelligenzminderung und sexueller Ansprechbarkeit für Kinder. Zu Beginn sollen dafür acht Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren aus Berlin und Umgebung in ein über 100 km weit entferntes Dorf gebracht werden. Von Anfang an stieß die Idee auf Kritik und Widerstand, die im Dezember vergangenen Jahres in einer Petition mündete, die inzwischen von etwa 2500 Menschen unterzeichnet wurde. Von den Petenten, aber auch von der zuständigen Kreisbehörde werden unter anderem fehlende Sicherheitskonzepte, fehlende Kooperation mit Institutionen vor Ort und eine ungenügende Infrastruktur bemängelt, sowie fehlende Ressourcen im Krisenfällen, da insbesondere die Charité aufgrund der Entfernung keine kurzfristigen Interventionen leisten kann. Die Kritik wurde von der EJF gAG und der Charité bisher weitestgehend ignoriert. Erst letzten Freitag äußerte sich Prof. Klaus Beier auf wachsendem medialen Druck hin erstmals öffentlich zu dem Vorhaben. Als Antwort auf Beiers Verteidigung des Projekts möchten wir die Kritik in einer eigenen Stellungnahme aus Sicht pädophiler Menschen und Selbsthilfe-Anbieter ergänzen.
In der Selbsthilfearbeit stellen wir immer wieder fest, wie schwierig es für Menschen ist, Hilfe zu bekommen, die neben ihrer Pädophilie von Problemen wie Suchtkrankheiten, Depressionen, Erfahrungen von sexualisierter Gewalt oder auch Intelligenzminderung betroffen sind. Hilfsangebote für diese Probleme sind oft mit dem Thema Pädophilie überfordert, haben keine sachgerechten Kompetenzen und „lösen“ das Dilemma nicht selten durch Ausschluss der pädophilen Person aus dem Hilfsangebot. Die ohnehin schon rar gesäten Anlaufstellen für pädophile Menschen wiederum sind oft ungeeignet darin, diese Probleme zu bearbeiten. Und auch die Selbsthilfe kommt hier schnell an ihre Grenzen. Als Folge durchlaufen Betroffene häufig einen jahrelangen Spießrutenlauf von einer Anlaufstelle zur nächsten, ohne dass sie die Unterstützung finden, die sie tatsächlich benötigen. Aus dieser Perspektive ist der Aufbau einer spezialisierten Einrichtung, die sich um pädophile Jugendliche mit einer Intelligenzminderung kümmert und intensive zielgerichtete Betreuung gewährleistet, grundsätzlich zu begrüßen. Wichtig ist aber, dass so ein Projekt so aufgebaut wird, dass die Sicherheit und professionelle Betreuung der Teilnehmer:innen zu jeder Zeit gewährleistet wird, und gerade hier sehen wir eklatante Mängel.
Ein absolutes No-Go ist es aus unserer Sicht, dass der genaue Ort der Wohngruppe im Vorfeld bereits medial bekannt ist. Ähnlich wie auch die exakten Therapiestandorte der Kein Täter Werden Einrichtungen aus gutem Grund nicht öffentlich genannt werden, muss dies auch unbedingt für eine Wohngruppe gelten, in der mehrere pädophile Menschen untergebracht werden sollen. Alles andere bedeutet, die Jugendlichen einer nicht kalkulierbaren Gefahr für Leib und Leben auszusetzen, insbesondere in Zeiten des sich immer mehr verbreitenden Phänomens der oft auch gewaltbereiten sogenannten „Pädojäger“. Hier stellt sich auch die grundsätzliche Frage, ob so ein Projekt im ländlichen Umfeld, wo jeder jeden kennt und sich schnell verbreiten wird, wer die Jugendlichen in einer neuen Wohngruppe sind, überhaupt durchführbar ist. Besonders irritierend wirkt es hier, dass Prof. Beier die Sicherheitsfrage nur aus der Perspektive zu denken scheint, wie ortsansässige Kinder vor den Jugendlichen geschützt werden können, und laut Lokalpolitiker Henryk Wichmann (CDU) noch nicht einmal ein mit der Polizei abgestimmtes Sicherheitskonzept existiert. Es scheint hier kein Bewusstsein für die besondere Vulnerabilität der Jugendlichen gegenüber möglichen gewalttätigen Übergriffen zu bestehen, was ernsthafte Zweifel daran wecken lässt, dass die Betreiber die Sicherheit und Unversehrtheit der Jugendlichen, aber auch des angestellten Fachpersonals in ihrer Verantwortung hinreichend gewährleisten können.
Darüber hinaus haben wir die Sorge, dass auch innerhalb des Wohnprojekts die Sicherheit aller Bewohner nicht gewährleistet ist. Die jüngsten Bewohner der Gruppe sollen gerade einmal 12 Jahre alt sein und sind damit selber noch Kinder. Wenn das Risiko für Missbrauchshandlungen bei den Jugendlichen laut Beier „sehr hoch“ ist, stellt sich die Frage, ob insbesondere die jüngeren Bewohner der Wohngruppe ausreichend vor Übergriffen durch andere Bewohner geschützt sind. Die Jugendlichen sollen schließlich nach Beiers Darstellung aus ihren regulären sozialen Kontexten entfernt werden, gerade weil sie dort im Kontakt mit Kindern stehen, und werden dann doch wieder in eine Wohngruppe untergebracht, in der sie im ständigen Kontakt mit Kindern sein werden. Hier entsteht bei uns der Eindruck, es sollen potenzielle Opfer einfach durch andere (pädophile) potenzielle Opfer ersetzt werden, bei denen ein tatsächlicher Übergriff als weniger schlimm gesehen wird. Aber auch für potenzielle Übergriffe durch das betreuende Fachpersonal wird ein Schutzkonzept benötigt. Durch den Umgang mit einer Gruppe, die gesellschaftlich als vogelfrei zählt, kognitiv eingeschränkt, räumlich isoliert und gleichzeitig dem Fachpersonal völlig ausgeliefert ist, bietet das Projekt die idealen Voraussetzungen für Gewalt gegen die teilnehmenden Jugendlichen, denen durch strukturelle Maßnahmen Rechnung getragen werden muss.
Generell sind die propagierten Behandlungsmethoden problematisch. Sicherheitsbedenken bezüglich Übergriffen, die von den Jugendlichen ausgehen könnten, begegnet Beier mit dem Hinweis, dass notfalls auch GPS-Armbänder und Medikation zum Einsatz kommen würden. Von einer Freiwilligkeit dieser Behandlungsmethoden, oder auch der Unterbringungsmaßnahme als Ganzes, wird nicht geredet. Dabei handelt es sich um Methoden, die tief in die Persönlichkeitsrechte und Freiheit der Jugendlichen eingreifen und als Teil des regulären geplanten Therapieprogramms auch rechtlich zumindest fragwürdig sein dürften.
Fragwürdig ist ebenfalls, wie durch die Unterbringung in einer öffentlich bekannten Wohngruppe die gesellschaftliche Teilhabe der Jugendlichen erreicht werden soll. Als Ort des Experiments wurde scheinbar bewusst eines der am dünnsten besiedelten Gebiete in Deutschland gewählt, um die Chance, dass die Jugendlichen in Kontakt mit Kindern geraten, so gering wie möglich zu halten. Dies ist das Gegenteil von Integration und gesellschaftlicher Teilhabe. Die Jugendlichen werden so an den Rand der Gesellschaft gestellt, als Pädophile stigmatisiert und aus ihren regulären Sozialverhältnissen gerissen. Es wird daraus effektiv eine Form von Ghettoisierung, die an Siedlungen in den USA erinnert, in denen nur Sexualstraftäter wohnen, weil diese aufgrund massiver Einschränkungen oft nirgendwo anders leben dürfen. Es stellt sich weiterhin die Frage, wie dieses Leben auf die Zeit als erwachsenes Mitglied der Gesellschaft vorbereiten soll. Auch hier wischt Prof. Beier diese Bedenken lapidar zur Seite, was nicht unbedingt Vertrauen dafür weckt, dass er sie ernst nimmt oder als großes Problem sieht. Ein „gesellschaftlicher Dialog“ soll eröffnet werden, um den Menschen zu zeigen, dass Ausgrenzung nicht sinnvoll ist, erzählt Beier, der aus Zeitgründen bisher die Teilnahme an allen Bürgerdialogen vor Ort abgesagt hat. Wie dieser Dialog aussehen soll und wie er verhindern soll, dass der durchschnittliche Dorfbewohner den Jugendlichen mit tiefem Misstrauen begegnet, nachdem Beier selber die Jugendlichen kurz darauf als „sehr hohes“ Risiko bezeichnet, bleibt unklar. Wenn die Jugendlichen erst einmal als pädophil gebrandmarkt sind und sie womöglich auch online an den Pranger gestellt werden, hat dies Auswirkungen auch über die Unterbringung in der WG hinweg potenziell auf deren ganzes Leben, und wird einer Eingliederung in der Gesellschaft fundamental im Wege stehen. Dabei ist es darüber hinaus auch grundsätzlich fragwürdig, ob man etwa bei zwölfjährigen Kindern als Außenstehender überhaupt schon gesichert von einer Pädophilie bzw. „Präferenzbesonderheit für das kindliche Körperschema“ sprechen kann.
Zusätzlich zu den Bedenken, die sich für das Projekt direkt ergeben, haben wir auch Sorgen, was für Auswirkungen die Darstellung des Projekts auf die Stigmatisierung und Marginalisierung pädophiler Menschen hat. Wir halten den Ansatz, pädophile Menschen durch Ausgrenzung, Medikation und eine Art elektronischer Fußfessel zu „kontrollieren“ für fundamental falsch. Es ist schwierig, wenn das als valide Umgangsform mit pädophilen Menschen etabliert wird, und damit Stimmen, welche dies als Zwangsbehandlung für alle Pädophile fordern, eine scheinbare argumentative Grundlage gegeben wird.
Zusammenfassend halten wir den Ansatz, Wohngruppen speziell für pädophile Menschen mit besonderen Herausforderungen aufzubauen, für grundsätzlich nicht verkehrt. Das Projekt der Charité und der EJF erfüllt aber aus unserer Sicht grundlegende und wichtige Kriterien nicht. Ein Projekt dieser Art muss die menschenwürdige Behandlung der teilnehmenden Personen garantieren können, und darf sie nicht nur als „Problem, das in der Gesellschaft ist“ verstehen. Dazu gehört auch ein ausgearbeitetes Schutzkonzept, das die körperliche und geistige Unversehrtheit garantiert, Konzepte zur gesellschaftlichen Integration und Teilhabe, und ein Therapiekonzept, das nicht nur allein auf Prävention und Verhaltenskontrolle unter teils fragwürdigen Methoden basiert.