News vom 02.12.2024

Vor zwei Wochen veröffentlichte Uwe Kaminsky, Historiker an der Charité Berlin, eine Studie über den Einfluss von Gerold Becker, Hartmut von Hentig und Helmut Kentler auf den Deutschen Evangelischen Kirchentag. Gerold Becker war langjähriger Schulleiter der Odenwaldschule und gilt als einer der Haupttäter im Missbrauchsskandal um die Schule, ihm wird der Missbrauch von 86 Jungen im Alter von 12 bis 15 Jahren vorgeworfen. Helmut Kentler wiederum war einer der einflussreichsten Vertreter der Pro-Contact-Ideologie, der im Rahmen eines „Experimentes“ mit staatlicher Unterstützung hilfsbedürftige Jugendliche an verurteilte Sexualstraftäter vermittelte.

Beide waren eng mit der evangelischen Kirche und dem Kirchentag verbunden, Becker war sogar Mitglied im Präsidium des Kirchentags. Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass keine Missbrauchstaten im Rahmen des Kirchentages nachweisbar sind, und weder Kentler noch Becker Pro-Contact-Ansichten auf Veranstaltungen, die sie dort hielten, verbreitet haben. Den Veranstaltern des Kirchentages wird dennoch vorgeworfen, sich nicht früh und energisch genug distanziert zu haben, insbesondere dann nicht, als die Missbrauchsvorwürfe gegen Becker bekannt wurden.

Die Aufarbeitung von Missbrauch und der Propagierung missbrauchsverharmlosender Aussagen begrüßen wir grundsätzlich, kritisieren aber scharf die Art, wie diese Aufarbeitung stattfindet. Die Studie von Kaminsky trägt den Titel „Pädophilie im Fokus“ und reduziert die vielschichtigen und komplexen Zusammenhänge damit auf die pauschale Dämonisierung von Pädophilie. Dabei geht es weder bei Kentler noch bei Becker überhaupt um Pädophilie, was Kaminsky im Vorwort selber schon feststellt und den Begriff umdefiniert, um ihn passend zu machen:

Der Begriff Pädophilie findet nachfolgend nicht in einem systematisierenden Sinn im Rahmen der Sexualforschung Verwendung. […] Nachfolgend dient der Begriff vielmehr dazu, eine Sexualpräferenz zu bezeichnen, die sich auf Minderjährige bezieht, die die historisch sich verändernde Schutzaltersgrenze (bei Jungen 18 Jahre, bei Mädchen 14 Jahre) im Strafrecht unterschritten.

Durch solche bewussten Falschverwendungen des Begriffs wird das Thema weiter verwässert, ein präziser Umgang erschwert und pauschal gegen Pädophile diskriminiert – auch solche, die keinen Missbrauch begehen und mit den Ansichten Kentlers nichts anfangen könne, von denen schon rein statistisch sich auch einige im Rahmen des Kirchentages unerkannt engagieren.