News vom 06.10.2023

Vor etwa einem Monat veröffentlichte der Spiegel unter dem tendenziösen Titel »Das kann sich fast wie eine erneute Vergewaltigung anfühlen« einen Artikel über die Verwendung generativer künstlicher Intelligenz zur Generierung kinderpornografischer Materialien. Der Artikel verurteilt diese Technologie einseitig, stellt die KI-gestützte Generierung schon im Titel mit realen Vergewaltigungen auf eine Stufe und ignoriert dabei mögliche Chancen und Optionen für die ethische Erstellung von Abbildungen, die von pädophilen Menschen genutzt werden könnten, ohne dass dabei echte Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden.

In dem Artikel findet sich auch eine Stellungnahme von Maximiliam von Heyden, Pressesprecher des Präventionsprojekts “Kein Täter Werden. Von Heyden schließt sich der einseitigen Verurteilung der Technologie an, vertritt dabei Thesen, die keine wissenschaftliche Grundlage haben und verbreitet die wissenschaftsfeindliche Ansicht, dass eine Erfoschung des Themas „aus ethischen Gründen“ unmöglich sei und lässt dabei die Lebensrealität und die sexuelle Selbstbestimmung pädophiler Menschen komplett unbeachtet.

Wir haben kurz nach Veröffentlichung des Artikels eine kritische Stellungnahme an von Heyden verschickt. Da wir bisher keine Antwort bekommen haben, veröffentlichen wir die Mail hier als offenen Brief.


Sehr geehrter Herr von Heyden,

mit einer gewissen Enttäuschung haben wir Ihre Stellungnahme im kürzlich veröffentlichten SPIEGEL-Artikel zu der Frage gelesen, ob künstlich generierte kinderpornografische Aufnahmen auch positive Effekte haben kann. Unserer Ansicht nach lässt die Stellungnahme einige Aspekte unerwähnt, verkürzt damit die Debatte und birgt nicht zuletzt die Gefahr, dass Potenziale für einen besseren Kinderschutz unerforscht bleiben.

Das Thema generative künstliche Intelligenz im Zusammenhang mit kinderpornografischen Abbildungen ist ziemlich komplex und vielschichtig, und muss deswegen differenziert betrachtet werden. Im Artikel werden einige problematische Verwendungen künstlicher Intelligenz erwähnt: KIs, die mit realen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern trainiert wurden, oder Deepfakes, die mit Bildern real existierender Kindern generiert werden, um diese in sexualisierte Szene zu transformieren.

Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit, fiktive Kinderpornografie zu generieren, bei deren Produktion an keiner Stelle reale Kinder involviert werden, beispielsweise über KIs, die anhand von Zeichnungen und virtuellen Darstellungen trainiert werden. Diese Möglichkeit findet im SPIEGEL-Artikel bedauerlicherweise keine Erwähnung, stattdessen wird jegliche Form KI-generierter Kinderpornografie implizit sogar auf eine Stufe mit realer Vergewaltigung gestellt.

In Ihrer Stellungnahme fehlt uns die Abwägung der sexuellen Selbstbestimmung pädophiler Menschen, die keinen Kindern schaden wollen. Auch wir haben ein Recht darauf, unsere Sexualität auszuleben, solange wir damit keinen anderen Menschen Schaden zufügen. Dies ist bei fiktiven Darstellungen und virtuellen generierten Abbildungen nicht der Fall, für eine indirekte Gefährdung fehlt bis heute jeglicher empirischer Beweis. Die klinische Erfahrung bei der Arbeit mit (potenziellen) Täter:innen kann empirische wissenschaftliche Daten nicht ersetzen, schon alleine, da diese keinen repräsentativen Querschnitt der Population pädophiler Menschen bilden. Selbst wenn in Einzelfällen derartige Abbildungen eher problematisch sind, können sie in anderen Einzelfällen wiederum hilfreich sein. Eine einseitige Verurteilung generativer KI macht aber jegliche individuelle Abwägung unmöglich.

Verwundert waren wir an dieser Stelle auch über Ihre Aussage, dass die Wirkung fiktiver Materialien ethisch nicht erforschbar sei. Erst im Juli wurde von Forscher:innen der Nottingham Trent University und der State University of New York ein Programm zur Erforschung dieser Frage vorgestellt (https://www.researchgate.net/publication/372783707_Fantasy_Sexual_Material_Use_by_People_with_Attractions_to_Children). Die Autor:innen, die zum Teil schon länger in dem Bereich forschen, weisen auf die ethischen Schwierigkeiten hin, halten sie aber nicht für unüberwindbar. In verwandten Bereichen gibt es solche Forschung schon, wobei dort kein Zusammenhang zwischen Konsum fiktiver Materialien und sexueller Aggression gefunden werden konnte. Bei der Frage nach der Wirkung kindlicher Sexpuppen gibt es inzwischen ebenfalls erste Forschungsergebnisse, die Ihrer Hypothese einer Risikosteigerung und Eskalation deutlich widersprechen (z. B. https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/00224499.2022.2031848). Sicherlich haben diese Ansätze, wie alle Studien, auch ihre Limitierungen und Beschränkungen. Aber die Behauptung, Forschung ließe sich überhaupt nicht ethisch vereinbar betreiben unterstützt eine wissenschaftsfeindliche Herangehensweise an das Thema, die mögliche Forschung behindert und zu vorschnellen gesetzlichen Verboten führen kann, die durchgesetzt werden ehe die Folgen überhaupt ansatzweise verstanden werden können – wie es zuletzt in Deutschland 2021 mit dem Verbot kindlicher Sexpuppen geschehen ist.

Des Weiteren gibt es auch im Kontext des Kinderschutzes ernst zu nehmende Bedenken, dass die Kriminalisierung fiktiver Abbildungen eher kontraproduktiv ist. Unserer Erfahrung aus der Selbsthilfearbeit nach wollen viele pädophile Menschen keinen Kindern schaden, und sind fest in ihrer Überzeugung, sexuelle Kontakte mit Kindern in der Realität zu unterlassen. Das ändert nichts daran, dass sexuelle Grundbedürfnisse trotzdem vorhanden sind. Ethische KI-generierte Bilder können hier eine Alternative für verantwortungsbewusste Menschen sein, um selbstachtsam und moralisch mit eigenen Bedürfnissen umzugehen.

Menschen, die proaktiv nach Alternativen suchen, um niemanden zu schaden, sollten gerade unterstützt und nicht kriminalisiert und als eskalierende Gefahr stigmatisiert werden. Laut einzelnen Forschern ist es durchaus möglich, dass in Einzelfällen Menschen durch den Konsum von Kinderpornografie eher davon abgehalten werden, Hands-On-Delikte zu begehen. Da reale Darstellungen sexualisierter Gewalt immer noch das Leid real existierender Kinder ausnutzen, ist es trotzdem nicht akzeptabel diese Darstellungen zu nutzen. Bei ethischer künstlich generierter Kinderpornografie sieht dies aber anders aus. Es besteht das Potenzial, dass auch eine Nachfrage nach realen Missbrauchsabbildungen gesenkt werden kann.

Ein Wesentlicher Teil Ihrer Argumentation bezieht sich weniger auf die Materialien an sich, sondern an den Kontext, in den sie geteilt werden. Wenn aber eine gesellschaftliche Akzeptanz für rein fiktive Kinderpornografie hergestellt werden könnte, unter der Prämisse, dass diese nur vertretbar ist eben weil sie keine realen Kinder involviert, könnte aber gerade dies die Ansicht bestärken, dass sexuelle Kontakte mit echten Kindern inakzeptabel sind. Eine pauschale und undifferenzierte Problematisierung bis hin zur Kriminalisierung wiederum kann genau das Gegenteil erreichen, nämlich dass Menschen auf der Suche nach ethisch vertretbaren Material in Untergrund-Foren landen, in denen „das Leiden der Opfer nicht berücksichtigt, heruntergespielt oder sogar in Abrede gestellt wird.“

Zusammengefasst möchten wir dafür appellieren, das Thema generativer KI differenziert und ergebnisoffen zu betrachten. Dass es schädliche und problematische Formen generativer KI gibt darf kein Grund sein, diese Technologie pauschal zu verdammen und dabei potenziell positive Anwendungsfälle zu übersehen. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass der ewigen Narrative des gefährlichen, in einer Eskalationsspirale gefangenen Pädophilen ein humanisierendes Bild entgegengesetzt wird, dass es eben auch Pädophile gibt, die niemanden ein Leid zufügen wollen und nach ethischen Alternativen für einen gesunden Umgang mit ihrer Sexualität suchen.

Mit freundlichen Grüßen
Sirius
Im Namen des „Wir sind auch Menschen“ - Teams