News vom 10.08.2022

Das BKA berichtet in einer am Dienstag veröffentlichten Pressemitteilung über die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf die Kriminalität in Deutschland. Zusammenfassend wurde bei den meisten Delikten ein Rückgang der Fallzahlen beobachtet. Einen deutlichen Ausreißer bilden Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornographie, wobei im starken Kontrast zum allgemeinen Trend im Jahr 2021 mehr als doppelt so viele Fälle registriert wurden, wie noch vor der Pandemie 2019. Das BKA führt dies in der Pressemitteilung darauf zurück, dass die „Gelegenheiten für Straftaten“ sich während der Pandemie vermehrt hätten und suggeriert damit, dass sich auch die Anzahl der tatsächlich begangenen Straftaten stark erhöht haben.

Damit unterschlägt die Pressemitteilung allerdings einige wichtige Tatsachen, die sich zum Teil im ausführlichen Bericht zur Entwicklung der Kriminalität während der Pandemiejahre finden lassen.

  1. Mehr erfasste Fälle bedeutet nicht mehr Fälle insgesamt. Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornographie finden größtenteils im Dunkelfeld statt. Mehr erfasste Fälle kann also auch einfach bedeuten, dass ein größerer Bereich des Dunkelfeldes aufgedeckt wird. Laut Bericht lassen sich viele Fälle durch vermehrte Hinweise vom National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC) erklären. Zudem hat vor allem NRW sehr viel mehr Ressourcen in die Verfolgung von Sexualstraftaten gegen Kinder investiert. Dementsprechend ist es nur zu erwarten, dass auch mehr Fälle gefunden werden.
  2. Mitten in der Pandemie wurden die Strafen signifikant erhöht. Insbesondere wurden Straftaten im Zusammenhang mit Kinderpornographie zu einem Verbrechen hochgestuft, was unter anderem zur Folge hat, dass Gerichte auch in minder schweren Fällen Verfahren nicht mehr einstellen können. Außerdem wurde Anfang 2021 die Definition von Kinderpornographie erweitert, und schließt seitdem zum Beispiel auch Bilder von schlafenden Kindern in „aufreizender“ Körperhaltung ein.
  3. Ein signifikanter Anstieg der Fälle geht auf Kinder und Jugendliche als Täter zurück. Der Anteil Minderjähriger unter den Tatverdächtigen hat sich in den letzten Jahren stark gesteigert, 2021 war fast jeder zweite Tatverdächtige nicht volljährig. Bei diesen Fällen handelt es sich oft um die unbedachte Verbreitung von Bildern über soziale Medien.

Die Schlussfolgerung, dass es einen drastischen Anstieg an Straftaten gegeben hat, lässt sich aus den vorhandenen Zahlen also nicht ohne weiteres ziehen. Trotzdem wurden die Aussagen der Pressemitteilung unkritisch von einigen Medien übernommen, darunter zum Beispiel n-tv.

Derartige Aussagen sind aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen wird das Stigma gegen pädophile Menschen dadurch indirekt weiter befördert, da viele Menschen nicht zwischen Sexualstraftätern und Pädophilen differenzieren. Erst im Mai dieses Jahres hat etwa NRW-Innenminister Herbert Reul etwa in der Tagesschau nach Veröffentlichung der polizeilichen Kriminalstatistik für 2021 pauschal allen Pädophilen den Krieg erklärt.

Nicht zuletzt wird der vermeintliche Anstieg an Straftaten im Bereich Kinderpornographie gerne benutzt, um für Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung oder die Chatkontrolle zu werben. Gerade letztere wird von Bürgerrechtlern als ein noch nie dagewesener Angriff auf das Recht auf private Kommunikation und die Unschuldsvermutung bezeichnet und ist auch unter Kinderschutzorganisationen stark umstritten. Auch deswegen ist es wichtig, derartige Zahlen und Meldungen kritisch zu hinterfragen und einzuordnen.

Siehe dazu auch: netzpolitik.org: das Raunen vom millionenfachen Missbrauch